Nacht aus Rauch und Nebel
blinzelte. Wie giftige Dämpfe schlängelte sich die Mutlosigkeit durch die Küche und in unsere Gedanken, trübte die Luft, die wir atmeten. Plötzlich kam ich mir so unglaublich winzig vor. Ein winziger Mensch in einer noch winzigeren Wohnung. Die Wände so nah. Die Möbel viel zu riesig. Selbst meine Kleidung engte mich ein, meine Brust zog sich zusammen. Wie sollte ich das Nichts nur aufhalten? Was sollte ich nur tun? Was konnte ich überhaupt ausrichten? Ich wurde das Gefühl nicht los, langsam zu ersticken.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.
Es war keine bewusste Entscheidung, eher so etwas wie Notwehr, als ich kurz darauf meinen Körper verließ. Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, schlüpfte ich in meine flackernde Schattengestalt und ließ mein reales Selbst auf dem Küchenstuhl zurück. Jeder Muskel in meinem Schattenkörper schmerzte von der letzten Nacht, ich hatte es geahnt. Dennoch fühlte ich mich gleich viel besser. Freier. Leichter. Christabel blickte nicht einmal auf, als meine Finger, die nun die Farbe eines schlecht eingestellten Fernsehsignals hatten, in das Glas der Fensterscheibe eintauchten. Nur Marian hob verwundert eine Augenbraue, machte jedoch keinerlei Anstalten, mich aufzuhalten.
Ich zuckte entschuldigend mit den Achseln und spürte im nächsten Moment, wie meine Gestalt ins Negativ umschlug. Glas perlte über mein Gesicht und meine Schultern, dann war ich draußen. Wind peitschte mir entgegen und durch mich hindurch. Gierig sog ich die frische Luft ein. Regentropfen überzogen meine Haut mit einem feinen Kitzeln, wo sie in meinen Schattenkörper eindrangen oder wieder austraten. Ich fragte mich, ob man wohl sah, wie sich die Wasserperlen ihren Weg durch mein Gesicht und meine Knochen bahnten.
Rasch schwebte ich parallel zur Hauswand in die Höhe, bis ich das Dach erreichte. Ohne die Schindeln zu berühren, marschierte ich die Schräge hinauf bis zum Schornstein und legte den Kopf in den Nacken. Für einen Sekundenbruchteil erhellte ein Blitz die Finsternis, die über dem Stadtteil hing. Ich zuckte nicht einmal zusammen. Fasziniert betrachtete ich die düsteren Wölken, die sich über mir am Himmel türmten. Die wattigen Gebilde wirkten bedrohlich und zugleich wunderschön. Wie der Dunst einer fernen Welt.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich das Flackern einer weiteren Schattengestalt, gerade als ich mich mit aller Kraft vom Dachfirst abstieß. Regenschleier vernebelten meinen Blick, während ich emporschoss, höher und höher. Die Stadt unter mir schrumpfte auf Modellgröße zusammen. Ein bisschen war es, als würde ich umgekehrt wandern, nicht auf Eisenheim zustürzen, sondern von der realen Welt weg. Hinauf in eine neue Dimension!
Der Wind blies mir durch die Stirn und meine Gedanken. Er spülte meine Angst fort, genauso wie meinen Zorn, meine Hilflosigkeit, bis nur noch Freiheit blieb, die keine Grenzen kannte. Ich war mir nicht sicher, ob ich gerade den Verstand verlor, aber eigentlich war es mir auch egal.
Endlich erreichte mein Kopf die finsteren Schwaden, anschließend meine Brust, meine Hüften, meine Knie. Die Wolke nahm mich in sich auf. Dunkle Watte umtoste mich. Ich schloss die Augen und rollte mich in der Schwerelosigkeit zusammen. Selbst durch meine Lider hindurch erkannte ich die Blitze, die um mich herum zuckten, doch ich fürchtete mich nicht, sondern ließ mich treiben und hoffte zu vergessen. Fernab von der Welt in meinem eigenen tiefschwarzen Ozean.
Irgendwann, ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, berührte mich etwas an der Hand. Nur widerwillig blinzelte ich und entdeckte Marians Züge vor mir in der Dunkelheit.
»Spinnst du?«, rief er. Doch seine Worte klangen dumpf inmitten der Schwaden. »Weißt du, wie gefährlich das ist? Du könntest jeden Augenblick gegrillt werden.«
»Mir geht es gut«, entgegnete ich und wollte mich abwenden. Doch Marian hielt mein Handgelenk mit eisernem Griff. »Wir müssen hier weg.« Er versuchte, mich aus der Wolke zu zerren, aber ich entwand mich ihm.
»Flora!« Marian setzte mir nach. »Bitte, wir müssen miteinander reden. Sieh mich an.«
Ich hob den Blick. Marian musterte mich. Die Schattengestalt kräuselte die Konturen seines Gesichts. Dennoch erkannte ich die Sorge, die darauf lag. Oder war es Angst?
»Worüber?«
Er presste die Lippen aufeinander. »Ich … helfe dir«, sagte er so leise, dass ich es zwischen Regen und Donner kaum verstand.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
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