Nacht aus Rauch und Nebel
Geräusche verschluckte.
Unter Marians Augen lagen Schatten, als er kurz darauf die Rampe herunterstapfte. Ich betätigte die Fernbedienung. Schweigend beobachteten Fluvius Grindeaut und ich, wie sich die hydraulischen Klappen schlossen und das Schiff luftdicht abriegelten.
»Es tut mir leid«, keuchte Marian. »Aber wir müssen meine Schwester mitnehmen.«
Der Großmeister presste die runzligen Lippen aufeinander. Einverstanden war er mit dieser Entscheidung ganz und gar nicht, doch er unternahm auch keinen Versuch, uns davon abzubringen. Stattdessen seufzte er nur, schnappte sich die Fernbedienung aus meiner Hand und wandte sich zum Gehen. »Morgen Nacht um Punkt zwölf starten wir unsere Expedition. Seid pünktlich!«, rief er noch, ohne uns anzusehen, dann verschwand er in den Tiefen seines Labors. Vermutlich auf der Suche nach einer Flasche Hochprozentigem.
Marian und ich blieben zurück. Seite an Seite standen wir da. Unsere Blicke hingen noch immer an der gigantischen Nebelkönigin, deren fließende Außenhaut uns verheißungsvoll entgegenschimmerte. Von Ylva war nichts mehr zu hören.
»Krasses Teil, was?«, stieß ich hervor, um die Stille zu übertönen.
Marian schwieg.
Ich hätte gern seine Hand genommen, doch etwas, eine unbestimmte Ahnung, hielt mich zurück. »Hast du … Angst?«, fragte ich. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich sein Kinn zu einem ruckartigen Nicken senkte. »Ich auch. Aber ich hoffe, dass alles gut werden wird. Das muss es, denkst du nicht?« Ich drehte mich zu ihm um. »Wir finden Desiderius, retten deine Schwester, halten das Nichts auf und –«
Marians Mundwinkel zuckten. »Nein«, murmelte er. »Es kann gar nicht alles gut werden.«
Ich hob eine Augenbraue. »Wieso glaubst du das?«
»Ich weiß es.«
»Woher?«
Marian senkte die Lider. »Ich weiß es einfach, okay?«
Ich atmete aus und entschloss mich, das Thema vorerst fallen zu lassen. »Wie kommt es eigentlich, dass ich dich nicht verstehe, wenn du mit Ylva sprichst? Ich dachte, in Eisenheim könnte jeder alle Sprachen verstehen?«, fragte ich stattdessen.
»So ist es«, bestätigte Marian. Auf seiner Stirn hatte sich eine Falte gebildet. »Bloß Ylva kann das nicht, weil ihre Seele krank geboren wurde. Deshalb verändern sich meine Worte in dem Moment, in dem ich sie spreche, und werden nur für sie verständlich. Es ist kein Finnisch, was du hörst, wenn ich mit ihr rede, Flora. Es ist irgendetwas anderes, eine eigene Sprache, die nur Ylvas Seele innewohnt. Vermutlich könntest du sie auch, wenn du mit ihr sprechen würdest.«
»Ernsthaft?« Mein Blick wanderte wieder zur hydraulischen Klappe des Laderaums.
Marian zuckte mit den Achseln. »Du wirst noch genug Zeit haben, es auszuprobieren. Vertrau mir«, sagte er.
Ich antwortete nicht.
Wie sich herausstellte, war es eine Sache, ein Schiff wie die Nebelkönigin zu bauen, und eine ganz andere, das gigantische Gefährt aus den Katakomben unter Notre-Dame hinaus und zum Nichts zu bringen.
Pünktlich um Mitternacht fand ich mich in der darauffolgenden Nacht im Labor des Großmeisters ein. Auf dem Rücken trug ich einen altmodischen Lederrucksack, den ich in meinem Zimmer gefunden und mit allerlei Klamotten vollgestopft hatte. Sieben tanzte aufgeregt über meinem Kopf hin und her. In den Händen hielt ich meinen Kampfstab.
An Bord traf ich auf Marian und Fluvius Grindeaut. Die beiden hatten sich genau wie ich in die langen Mäntel des Grauen Bundes gehüllt, ebenso wie eine dritte Gestalt, die sich die Kapuze tief in das vernarbte Gesicht gezogen hatte.
Amadé.
Ich verengte die Augen zu Schlitzen. »Hallo«, sagte ich, als ich die kleine Gruppe erreichte. Anscheinend hatten sich die drei bereits häuslich eingerichtet. Jedenfalls standen Taschen und Decken in den Kojen, von denen es insgesamt fünf gab. »Ich wusste gar nicht, dass –«, begann ich.
»Amadé wird uns begleiten«, erklärte Marian.
Ich warf mein Gepäck auf das nächstbeste freie Bett und strich mir das Haar hinter die Ohren. »Warum das?«
Marian und Amadé tauschten einen Blick.
»Ich will es eben«, sagte sie. Wieder jagte mir der Klang ihrer dunklen Stimme einen Schauer über den Rücken. »Vielleicht könnt ihr Hilfe gebrauchen.«
Fluvius Grindeaut, der vorgab, nichts von unserer Unterhaltung mitbekommen zu haben, bedeutete uns, auf den zwischen den Kojen eingelassenen Sitzen Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich in einem Sessel vor dem Barockorgel-Schaltpult nieder, setzte
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