Nacht aus Rauch und Nebel
getroffen hatte. Die Kleine hatte auch von Dämonen im Nichts vor der Stadt gefaselt. Schauergeschichten, die man Kindern erzählte. Ich straffte die Schultern und reckte mein Kinn. »Es waren eher so etwas wie Teile von Gebäuden und gigantische Zahnräder, würde ich sagen.«
»Zahnraddämonen?«, raunte Amadé. Sie lag mit dem Gesicht zur Wand, sodass ich ihre Züge nicht erkennen konnte.
Ich kniff die Augen zusammen. »Ist alles in Ordnung?« Warum verhielt sie sich in letzter Zeit so merkwürdig mir gegenüber? Ich wollte zu ihr hinübergehen, sie zur Rede stellen. Doch Marian hielt mich zurück.
»Lass gut sein«, raunte er an mein Ohr. »Amadé hat viel durchgemacht.«
»Ich weiß«, seufzte ich. Immerhin hatte sie sich sogar foltern lassen, um mich nicht zu verraten. Doch jetzt glaubte sie anscheinend aus irgendeinem Grund, ich wäre gegen sie.
»Sie war oft im Krawoster Grund in letzter Zeit«, fuhr Marian kaum hörbar fort. »Sie hat dort Dinge gesehen, die sie nicht einordnen kann.«
»Welche Dinge?«, wisperte ich.
»Dinge eben«, wiederholte Marian, als wäre das eine Erklärung. Seine Lippen glitten flüchtig über mein Ohrläppchen. »Mach dir keine Sorgen, ja?«
Ich rückte ein Stück von ihm ab. »Natürlich tue ich das.«
15
FIEBERWAHN
Am nächsten Tag ging es mir gar nicht gut. Schon als ich die Augen aufschlug, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Mein Hals fühlte sich an, als hätte ich im Schlaf ein Stück Stacheldraht verschluckt, und meine Lider waren schwer. So schwer, dass ich sie gleich wieder zufallen ließ. Blind tastete ich nach der Packung Taschentücher auf meinem Nachttisch und schnäuzte mir die Nase, dann sank ich erschöpft zurück in die Kissen.
Nach ein paar Minuten zwang ich mich zu einem weiteren Versuch und blinzelte. Kopfschmerz durchzuckte mich. Dennoch kroch ich unter meiner Decke hervor. Schwerfällig kam ich auf die Beine, das Zimmer um mich herum drehte sich, sodass ich mich am Knauf meines Bettrahmens festhalten musste. Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Ich taumelte in Richtung Badezimmer, gab jedoch auf halbem Wege auf, weil meine Knie zu sehr zitterten.
In meinem dünnen Schlafanzug fror ich erbärmlich. So rasch ich konnte, stolperte ich deshalb in mein Bett zurück. Bibbernd zog ich mir die Decke bis zur Nasenspitze hinauf. Na super! Anscheinend hatte mich die Erkältung, deren erste Anzeichen mich gestern schon genervt hatten, über Nacht voll erwischt und sich obendrein zu einer Grippe ausgewachsen. Scheißtag!
Gegen halb acht schwebte Marians Schatten ohne Vorwarnung durch die Hauswand herein, um mich abzuholen. Ich lag noch immer in meinem Bett und erklärte ihm, dass ich mich von dort wohl vorerst auch nicht wegbewegen würde. An Schule jedenfalls war überhaupt nicht zu denken.
»Kannst du Wiebke Bescheid geben?«, fragte ich mit schwacher Stimme und musste schon wieder meine Nase schnäuzen.
Marians Schattengestalt nickte knapp. »Soll ich dich zum Arzt bringen?«
»Nein. So schlimm ist es nicht.«
Einen Augenblick lang zögerte Marian, vermutlich sah er die Sache anders und überlegte, ob er mir widersprechen sollte. Dann seufzte er. »Ich werde dann später noch mal nach dir sehen.«
»Mhm«, machte ich und fiel wenig später in einen unruhigen Schlaf.
Schon stürzte meine Seele wieder auf Eisenheim zu, durch Kälte und Finsternis. Doch dieses Mal waren da keine Dächer, die sich unter mir aus der Dunkelheit schälten, sondern Nichts. Ich stürzte ins Bodenlose. Vielleicht würde ich niemals wieder aufhören zu fallen. Panik stieg in mir auf. Nun war ich schon so oft gewandert, Nacht für Nacht, so viele Wochen. Aber so etwas hatte ich noch nicht erlebt. Zwar trug ich eines der Chiparmbänder des Großmeisters, aber leider wollte es mir nicht aus dem Kopf, dass ich vermutlich die Erste war, die zurückkehrte. Das Versuchskaninchen sozusagen.
Das Nichts kam nun immer näher, die bedrohlichen Schwaden schienen sich mir entgegenzustrecken. Hungrig. Gierig. Tödlich.
Verdammt! Ich zappelte in der Luft herum, als könnte ich mich dadurch selbst aufhalten. Denn auch wenn das Armband mich zur Nebelkönigin zurückbringen würde, das Problem war, dass mein Körper vorher durch das Nichts hindurchfallen würde. Und was bliebe dann noch von mir übrig, um es zurück zum Schiff zu bringen?
Mir fiel auf, dass ich schrie.
Schon streiften meine Zehenspitzen das Nichts. Ich schloss die Augen. Wartete auf den Schmerz
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