Nacht aus Rauch und Nebel
Grauschattierungen gemustert. »Mir gefällt es.«
Der alte Großmeister lächelte. »Das sollte es auch. Für die Dauer unserer Reise müssen wir nämlich unsere Seelen mit der Nebelkönigin verbinden, damit gewährleistet ist, dass wir beim Wandern zwischen den Welten nicht versehentlich im Nichts landen, weil sich das Schiff in der Zwischenzeit bewegt hat.« Er zog eine kleine Schatulle aus der Tasche seines Gewandes und zeigte mir die chipbesetzten Armbänder darin.
»Oh!«, sagte ich. Dieser Gedanke war mir bisher noch gar nicht gekommen. »Heißt das, die Nebelkönigin wird ein Teil von uns, so wie das Materiophon und Ylva miteinander verknüpft sind?«
Beim Gedanken an Ylva biss ich mir auf die Lippe. Marian war spät dran. Eigentlich hatten wir verabredet, dass er seine Schwester schon vor einer Stunde herbringen sollte. Gemeinsam wollten wir den Großmeister … überreden, sie mit an Bord zu nehmen. Doch bisher fehlte jede Spur von den beiden und die Vorbereitungen waren fast beendet.
»Nicht ganz«, sagte der Großmeister, während wir über eine Leiter ins Freie kletterten. »Schließlich haben wir keinen Weißen Löwen, der danach notwendig wäre, um die Verbindung zu kappen. Es funktioniert eher wie ein GPS-Sender, würde ich sagen. Na ja, im weitesteten Sinne.« Er tastete nach dem Flachmann in der Innentasche seines Gewandes, zog ihn heraus und wog ihn in den Händen, um ihn kurz darauf enttäuscht wieder wegzustecken. Er seufzte. »Genug für heute«, sagte er und zückte eine Fernbedienung, um die Nebelkönigin abzuriegeln.
Das ging zu schnell. Wir durften noch nicht wieder in die Kathedrale zurückkehren. »Und wie lange wird unsere Fahrt dauern?«, fragte ich deshalb.
Der Großmeister zuckte mit den Achseln. »Schwer zu sagen. Wir halten uns an die Koordinaten, aber wie brauchbar die sein werden, können wir nicht wissen.« Plötzlich lag seine faltige Hand auf meiner Schulter. »Du musst nicht mitkommen, Flora«, sagte er. In seinen trüben Augen war so viel Mitgefühl, dass ich Marians Verehrung für den Großmeister mit einem Mal verstand. Auch wenn er ein Trunkenbold war, er hatte Marian nach dem Tod seiner Eltern aufgenommen. Er versteckte mich vor den Häschern des Kanzlers. Und er half mir, die Prophezeiung zu ergründen. Ein bitterer Geschmack legte sich auf meine Zunge. Das musste das schlechte Gewissen sein. »Wenn es dir zu viel ist, dann –«, begann er.
»Doch, doch«, rief ich. »Ich will mit, unbedingt! Es ist nur …« In der Ferne ertönte ein Brüllen. Vor Erleichterung entfuhr mir ein Seufzen. Na endlich! »Es ist nur so, dass wir noch einen weiteren Passagier haben werden. Einen von der eher ungemütlichen Sorte«, erklärte ich rasch.
Die Augen des Großmeisters weiteten sich, als er begriff.
Ich nickte kaum merklich, löste die Fernbedienung aus seinen knochigen Fingern und hasste mich dafür, dass wir ihn so überrumpelten. Aber uns blieb nun mal keine andere Wahl.
Zwischen den gläsernen Stämmen erschien Marian. Gefolgt von einer pferdelosen Kutsche bahnte er sich einen Weg durch das Dickicht der alchimistischen Gerätschaften.
»Das …«, stammelte Fluvius Grindeaut, »das … das geht nicht.«
»Es muss aber gehen«, sagte ich. »Wir können Ylva doch nicht auf ewig diesem Schicksal überlassen. Marian glaubt, mithilfe des Nichts die Verbindung zwischen ihr und dem kosmologischen Materiophon kappen zu können.«
Der alte Mann strich sich über den Bart. »Ja, ich weiß, dass er das glaubt. Und möglicherweise könnte es sogar funktionieren, wenn wir tatsächlich ein Loch im Nichts finden und das Materiophon dort lassen können. Vielleicht zersetzt das Nichts dann die Verbindung. Aber vielleicht tötet das Ylva auch. Es ist zu gefährlich.«
Marian hatte uns nun erreicht. Die Kutsche neben ihm erzitterte unter den wütenden Tritten ihrer Insassin. Die Maschine, mit der Ylvas Seele verbunden war, schepperte gegen die verschlossene Tür.
Ich zuckte mit den Achseln. »Es ist unsere einzige Chance«, rief ich und hatte Mühe, das Grollen des Ungeheuers zu übertönen.
Schwankend rollte das Gefährt die schmale Rampe zum Laderaum hinauf. Marian hatte beide Hände an eine der stählernen Wände gelegt und redete wieder einmal in diesem finnischen Singsang. Tatsächlich schienen seine Worte Ylvas Seele zu beruhigen, jedenfalls bildete ich mir ein, dass ihr Brüllen leiser wurde. Aber vielleicht lag es auch nur an den massiven Wänden der Nebelkönigin, die die
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