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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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fragen«, murmelte der Mantikor und begann zu verblassen. »Du weißt doch: Ich kann dir nicht helfen.«
    Ich hob die Hand. »Bitte, kannst du mir nicht wenigstens einen Hinweis geben?« Doch im nächsten Moment war der Mantikor bereits verschwunden. Ich unterdrückte einen Fluch und begann, auf und ab zu gehen. Irgendetwas musste es doch geben, was wir tun konnten! Irgendeinen Hinweis auf eine Lösung … Mein Blick fiel auf die Kratzer im Parkett, wo der Mantikor gesessen hatte. Tiefe, unregelmäßige Furchen, die die Löwenkrallen in das Holz gegraben hatten, Linien und Bogen und – Zahlen … Ich wischte die Späne beiseite, sah genauer hin und erkannte in Siebens flackerndem Licht: Dies waren keine Kratzer. Es waren Koordinaten!
    Einen Moment später rannte ich bereits. Gefolgt von Sieben stürzte ich die Flure entlang, Treppen und Leitern hinunter, weitere Flure, Felsgänge. Rasch drang ich in die Tiefen der Katakomben vor, bis sich diese schließlich zu Fluvius Grindeauts Gläserwald öffneten. Sieben und ich hetzten zwischen Baumstämmen, in denen Flüssigkeiten blubberten, Pilzen, die als Ventile dienten, und klirrendem Farn hindurch. Den Großmeister fanden wir in der hintersten Ecke der riesigen Grotte, wo er an einem gigantischen Metallteil schraubte. Ich erkannte die Maschine, die er durch Notre-Dame gezogen hatte.
    Mir klappte der Mund auf, als ich versuchte, die Ausmaße der gesamten Apparatur zu erfassen, die insgesamt so groß wie unser Wohnhaus in Steele sein musste. Es gelang mir nicht, mein Geist vermochte lediglich, verschiedene Einzelheiten wahrzunehmen. Zum Beispiel war da die nietenbesetzte Außenhaut, auf der ein flirrender Schimmer lag, als wäre sie in Bewegung. Und die Schornsteine, so dick, dass man ein Bett hineinstellen konnte. Und die sich drehenden Kugeln an einer Brüstung, die ich für die Reling hielt. Und der scharf geschnittene Bug, ganz vorn so schmal wie eine Rasierklinge.
    »Das Schiff«, flüsterte ich.
    Der Großmeister, der mich erst jetzt bemerkte, fuhr herum. Er trug eine merkwürdige Brille mit mehreren voreinandergeschalteten Linsen und einer Lampe an der Stirn. Seine Augen wirkten durch die Gläser riesig, wie die eines Insekts.
    »F-flora«, stotterte er und hätte beinahe sein Werkzeug fallen lassen. »Was tust du denn hier?«
    »Ich muss mit Ihnen reden«, sagte ich.
    Der Großmeister blinzelte überdeutlich. »Worüber?«
    »Darüber, wann das Ding hier startklar sein wird.« Ich schnappte mir einen seiner Notizzettel und einen Füller und kritzelte die Koordinaten, die der Mantikor mir gegeben hatte, darauf. Dann drückte ich dem Großmeister das Stück Papier in die Hand. »Es gibt da einen Gelehrten im Nichts, den wir finden müssen.«
    Der Großmeister betrachtete den Zettel und wiegte einen Augenblick lang den Kopf hin und her. »Nicht hier«, sagte er schließlich, streifte seine Brille ab und wischte sich die Ölspritzer aus dem Bart. »Trinken wir doch einen Tee.«
     
    Am nächsten Tag berichtete ich Marian auf dem Weg zur Schule, was der Großmeister und ich besprochen hatten.
    »Was soll das heißen: schon morgen?«, fragte Marian. Wir warteten gerade auf den Bus, beide in unseren realen Gestalten. Ich hatte mich warm eingemummelt mit einem Schal vor dem Gesicht, weil der plötzliche Temperatursturz der letzten Nacht mir zu schaffen machte und die kalte Luft meine Nase zum Laufen brachte.
    Ich zuckte mit den Achseln. »Was es eben heißt: Das Schiff ist so gut wie fertig. Morgen Nacht können wir los.« Ich hustete. Schon seit ein paar Tagen fühlte sich mein Hals rau und trocken an.
    Marian sah mich ungläubig an. »Aber … wie hast du den Großmeister dazu überredet … und warum … und –« Seine Mundwinkel zuckten. »Weißt du, wie oft ich ihn darum gebeten habe, mir und Ylva zu helfen, die Verbindung zwischen ihrer Seele und dem Materiophon mithilfe des Schiffes zu trennen?«
    »Nein«, sagte ich. »Deine Idee habe ich aber auch gar nicht erwähnt. Ich habe ihm stattdessen von meiner Vermutung erzählt, dass dieser Desiderius vielleicht noch immer irgendwo dort draußen lebt.«
    »Wie das?«, fragte Marian.
    »Na, in den Löchern im Nichts, verstehst du? Vielleicht finden wir ihn. Und wenn er sich dann ein bisschen deutlicher ausdrückt, gelingt es uns vielleicht sogar, das Nichts aufzuhalten«, sprudelte es aus mir hervor. Seit meinem Gespräch mit dem Großmeister war ich wie elektrisiert. Der alte Mann mochte ein Trinker sein und seine

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