Nacht Der Begierde
inne, abwartend und aufmerksam.
«Nein», stimmte ich ihm zu. «Ich wollte raus, weil ich nachdenken wollte, und ich hätte gern eine Einschätzung der Situation von einem Soldaten. Wenn ich mich nicht sehr täusche, bin ich da bei dir richtig.»
Er nickte und bestätigte damit meine Vermutung. Das überraschte mich nicht. Man merkte es einfach an seinem ganzen Auftreten, seiner Art. Er strahlte eine disziplinierte Wachsamkeit aus, die deutlich machte, dass man es nicht mit einem Zivilisten zu tun hatte.
«Heer? Marine? Luftwaffe?»
«Marineinfanterie.»
«Das passt.
Marines
, immer als Erste im Einsatz.» Wir gingen weiter. «Mir fehlt noch so viel, damit ich mir ein Bild machen kann. Beispielsweise diese Panther, die ich im Einkaufszentrum getroffen habe. Stimmt es, dass es sich um richtige Panther handelt? Um Katzenmenschen?»
«Ja.»
Mit diesem simplen Wort sprengte er meine ohnehin schon erschütterte Vorstellungskraft vollends. Ich befand mich auf einer Reise, die über das mir Bekannte hinausführte, mitten hinein in ein unbekanntes Land von Drachen und Fabelwesen. Es gab also nicht nur Werwölfe, sondern auch noch andere Wesen, die ihre Gestalt ändern können.
«Machen sie Probleme?»
«In letzter Zeit attackieren sie uns verstärkt», meinte David. «Es gab vermehrt Vorfälle, bei denen Konflikte von einzelnen Leuten oder kleinen Gruppen angezettelt wurden. Angriffe auf unsere Territoriumsgrenzen. Ich glaube, sie bereiten sich darauf vor, uns in größerem Stil anzugreifen, sobald sie eine Schwäche wittern.»
«Zum Beispiel, wenn ein Wechsel in der Rudelführung stattfindet.» Ich stampfte wütend auf, weil ich das Gefühl hasste, in die Ecke gedrängt zu werden. Nicht dass ich etwas gegen Zach hatte. Ganz im Gegenteil, je mehr ich ihn kennenlernte, umso mehr beeindruckte er mich. Sein Rudel vertraute ihm und respektierte ihn. Das allein sprach Bände. Wie auch der Zustand des Anwesens, auf dem wir uns befanden. Sofern Zach für die Finanzen zuständig war, schien er sie sehr geschickt zu verwalten.
David ließ ein unbestimmtes Grummeln hören, widersprach aber auch nicht.
«Glaubst du, dass Zach der beste Rudelführer ist?», fragte ich ihn nach seiner Meinung, war mir jedoch nicht sicher, ob er sie mir verraten würde.
«Ja.»
«Warum?»
«Weil er zuerst denkt und dann handelt. Weil er das Ganze im Blick hat. Zum Vorteil des Rudels handelt.» Schweigend wanderten wir weiter, bevor David ergänzte: «Was aber keine Empfehlung für ihn als Gefährten ist. Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen.»
«Hab dich ja auch nicht gefragt.» Wir schlängelten uns durch das Labyrinth, wobei David geschickt die Führung übernahm, um uns auf der richtigen Route zu halten. Nach einer letzten Runde waren wir in der Mitte angelangt, einer kreisrunden Fläche, umgeben von Hecken und mit einer Bank, die unter einer kleinen Rosenlaube stand und auf einen kleinen Brunnen blickte. Dieser hatte zwei Ebenen; eine obere, die eine Mädchenstatue mitWasser aus einem Krug füllte, und eine untere, die ein Wolfskopf aus geöffnetem Maul speiste. Wie passend.
Geschützt von den hohen Hecken und der Rosenlaube müsste dieser Ort im Sommer, wenn die Luftfeuchtigkeit auf alles drückte und alles in zähen Sirup verwandelte, eine schattige Oase sein. «Hübsch», sagte ich laut.
Ich betrachtete das friedliche Bild, während ich Davids Aussagen verarbeitete. Wenn ich mich für Zach entscheiden würde, bliebe die bisherige Ordnung im Rudel erhalten. Das wäre wahrscheinlich das Beste für alle Beteiligten, egal wie ich mich persönlich dabei fühlen würde. Und wie ich mich fühlen würde, konnte ich im Moment wahrscheinlich noch gar nicht wirklich einschätzen. Zu viele Schockerlebnisse, zu viele Offenbarungen, zu viel zu verdauen.
«Wird von mir erwartet, dass ich hier lebe?» Mit diesen Worten überquerte ich das kleine Rund und setzte mich auf die Bank, zog meine Füße auf die steinerne Sitzfläche und stützte das Kinn auf meine Knie.
«Muss man dir erst sagen, dass es für dich das sicherste wäre?» David saß neben mir und sah mich mit ernster Miene an.
«Nein. Das habe ich schon verstanden.» Nicht dass es mir besonders schlimm erschien, meinen Morgenkaffee im Wintergarten einnehmen zu müssen. Und in Anbetracht meiner heftigen Reaktion auf Parfums, Duftwässerchen und chemische Gerüche würde ich das Leben auf einem riesigen privaten Anwesen mit Menschen, die keine permanente Attacke auf meine Atemwege
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