Nacht der Füchse
Afrikakorps zu singen begann, trat plötzlich Rommel auf. Kein Zweifel – er war es! Die Mütze mit der Schutzbrille, das nachlässig verknotete weiße Halstuch, der alte Ledermantel, der Stab des Feldmarschalls in der be handschuhten Rechten, die andere arrogant in die Hüfte ge stemmt. Die Stimme, die einige Worte aus der berühmten Kampfrede vor El-Alamein wiedergab, klang echt.
»Ich weiß, ich habe euch nicht viel geboten. Sand, Hitze und Skorpione, aber wir haben sie gemeinsam erduldet. Noch ein Vorstoß, dann stehen wir in Kairo, und wenn wir es nicht schaffen… nun ja, dann haben wir es versucht – gemeinsam.«
Totenstille herrschte im Saal, und Oberst Halder schaute Rommel nervös an. »Herr Generalfeldmarschall, ich hoffe, Sie sind nicht gekränkt.«
»Gekränkt? Ich finde ihn großartig«, sagte Rommel und sprang auf. »Bravo!«, rief er und begann zu klatschen, während der Saal hinter ihm zu toben begann. Es wurde geklatscht und gejubelt, und alle sangen das Lied des Afrikakorps.
Im primitiven Umkleideraum neben der Küche saß Erich Ber ger vornübergebeugt auf einem Stuhl und musterte sein Spie gelbild. Ihm klopfte das Herz, und er schwitzte. Eine Tortur, vor dem Mann zu spielen, den er darstellte – noch dazu ein solcher Mann. Ein Name, der einen besonderen Klang hatte. Der bekannteste Soldat in Deutschland.
»Nicht schlecht, Heini«, sagte er leise. »Mazeltov.« Er nahm eine Flasche Schnaps aus einer Schublade, zog den Korken und trank einen Schluck.
Ein jiddisches Wort auf den Lippen eines Gefreiten in einem deutschen Fallschirmjäger-Regiment – das hätte jeden Lau scher verwundern müssen. Doch hieß er gar nicht Erich Berger, sondern war in Wirklichkeit Heini Baum, ein jüdischer Schau spieler und Kabarettkünstler aus Berlin – und sehr stolz auf seine Karriere.
Es war eine erstaunlich einfache Geschichte. Überall in Eu ropa war er erfolgreich in Kabaretts aufgetreten. Geheiratet hatte er nicht, denn er war Männern mehr zugetan als Frauen. Trotz der Machtübernahme durch die Nazis war er in Berlin geblieben, denn seine Eltern hatten immer dort gewohnt und konnten sich nicht vorstellen, dass es zum Äußersten kommen würde. Natürlich war es dann sogar noch schlimmer gekom men. Aber zunächst wurde Baum als nützliche Person einge stuft. Zwar musste auch er den Judenstern am Mantel tragen, doch genoss er als im In- und Ausland bekannter Künstler eini ge Vorteile, die ihn und seine Eltern schützten, während immer mehr Freunde fortgeschafft wurden.
Dann kam das Jahr 1940 und jener schicksalhafte Abend, an dem er nach dem Auftritt in seine Straße einbog und mit anse hen musste, wie die Gestapo seine Eltern aus dem Haus führte. Er hatte feige kehrtgemacht und war geflohen, nicht ohne in einer Seitenstraße anzuhalten, um sich den gelben Stern vom Mantel zu reißen. Er war damals vierundvierzig Jahre alt und sah an guten Tagen zehn Jahre jünger aus. Aber was sollte er jetzt anfangen? Seine Ausweise zeigten deutlich, dass er Jude war.
Er war mit dem Zug nach Kiel gefahren in der unrealisti schen Hoffnung, von dort mit dem Schiff verschwinden zu können – irgendwohin. Kurz vor seiner Ankunft hatten die Engländer einen ihrer vernichtenden Bombenangriffe auf die Stadt geflogen. So konnte er nur durch das brennende Chaos des Stadtkerns irren und fand schließlich, als die zweite Bom berwelle anrückte, in einem Keller Unterschlupf. Im Luft schutzraum entdeckte er mehrere Tote – einen Mann, eine Frau und ein zwölfjähriges Mädchen. Die Ausweise zeigten, dass sie zusammengehörten. Erich Berger mit Frau und Tochter. Und noch etwas. In Bergers Tasche steckte sein Einberufungsbe fehl. Er hatte Anweisung, sich in der nächsten Woche zu mel den.
Gab es für einen Juden, der kein Jude mehr sein wollte, ein besseres Versteck? Zwar war er zehn Jahre älter als Berger, aber das würde man nicht erkennen. Die Fotos der beiden Ausweise auszutauschen war ein Kinderspiel – und so zerrte er schließlich in den Schutt der Straße einen Toten hinaus, der später als Heini Baum, Jude aus Berlin, identifiziert werden sollte. Allerdings hatte er dem Mann mit einem Backstein zu vor das Gesicht einschlagen müssen, um die Täuschung mög lich zu machen, aber nach allem, was hinter ihm lag, hatte er damit keine Mühe mehr.
Was für eine Ironie, ausgerechnet zu den Fallschirmjägern zu stoßen! Überall war er gewesen: in Kreta, Stalingrad, Nord afrika
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