Nacht der Füchse
Er legte Helm und Mantel ab und blieb in SS-Uniform mitten im Zimmer stehen. Auf der anderen Seite des Tisches saß Pierre mit heftig funkelnden Au gen; er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hob die Beine.
»Wie wär’s mit etwas zu trinken?«, fragte Martineau.
»Mein Gott – man hatte mir schon gesagt, dass Sie Eiswas ser in den Adern haben«, sagte Kramer bewundernd.
Im gleichen Augenblick hämmerte Pierre mit den Füßen ge gen die Tischkante und rammte dem Deutschen die Platte in den Rücken. Mit der linken Hand schob Martineau die Pistole zur Seite, trat dicht an den Deutschen heran und ließ gleichzei tig das Knie hochfahren. Kramer drehte sich zur Seite, fuhr Martineau mit steifen Fingern unter das Kinn und drückte ihm den Kopf zurück. Martineau hakte einen Fuß hinter Kramers linkes Bein und ließ den anderen krachend zu Boden fallen; er folgte der Bewegung, griff gleichzeitig nach der Hand, welche die Pistole hielt, und knallte Kramer die andere Faust seitlich gegen den Hals. Die Pistole ging zwischen den beiden Män nern los.
Es war deutlich zu hören, wie Knochen knackten, dann rühr te sich der Deutsche nicht mehr. Er lebte noch, stöhnte aber nur leise vor sich hin. Als Martineau sich aufrichtete, fühlte er sich plötzlich schwach. Er zog die Tischschublade auf, deren Inhalt auf den Boden prasselte, und nahm ein Brotmesser heraus. Ha stig trat er hinter Pierre und löste seine Fesseln. Der alte Fran zose sprang auf und zog sich den Knebel aus dem Mund.
»Mein Gott, Harry, ich habe noch selten so viel Blut gese hen!«
Martineau senkte den Blick. Sein SS-Hemd war blutdurch tränkt.
Er ließ sich in den Stuhl sinken. »Das ist jetzt nicht wichtig.«
»Hast du ihn erwischt? Hast du Kaufmann erwischt?«
»O ja, Pierre«, sagte Martineau erschöpft. »Wann und wo ist Rendezvous?«
»Beim alten Aero-Club in Fleurie um neunzehn Uhr, kurz
bevor es ganz dunkel ist.«
Martineau schaute auf die Uhr. »Das ist ja nur noch eine hal be Stunde. Du musst natürlich mitkommen. Wohin willst du sonst?«
Er stand auf und ging schwankend zur Tür, und der Franzose stützte ihn. »Du schaffst es nicht, Harry.«
»Bleibt mir gar nichts anderes übrig, denn in etwa fünf Mi nuten kommt die Gestapo den Weg herauf«, sagte Martineau und trat ins Freie.
Er schob das Motorrad vom Bock und hob ein Bein über den Sattel, dann startete er den Motor – und hatte dabei das seltsa me Gefühl, dass sich alles in Zeitlupe abspielte. Pierre stieg hinter ihm auf, und sie fuhren vom Hof den überwachsenen Weg entlang.
Als sie am Ende auf die breitere Straße einbogen, sah Marti neau von links zwei dunkle, geschlossene Wagen herbeirasen. Der erste stoppte mit quietschenden Bremsen und hätte ihn beinahe in den Graben gedrückt. Mit durchdrehenden Rädern bog er nach rechts ab, gab Gas, hörte Schüsse und einen plötz lichen Schrei Pierres, dessen Hände ihn losließen. Der alte Franzose fiel rücklings von der Maschine.
Martineau brauste auf den Kanal zu und bog auf den Trei delpfad ein. Ein Gestapowagen folgte dichtauf. Zweihundert Meter weiter befand sich eine Schleuse, über die ein schmaler Fußweg führte. Martineau fuhr problemlos auf die andere Sei te. Der verfolgende Wagen musste anhalten. Die beiden Gesta poleute sprangen heraus und begannen wild zu schießen, doch er war längst außer Schussweite.
An die Einzelheiten seiner Überlandfahrt nach Fleurie konn te er sich hinterher nicht klar erinnern, doch lief alles leichter als erwartet. Der Flugplatz hatte vor dem Krieg einen AeroClub beherbergt, war allerdings lange nicht mehr benutzt wor den und sah entsprechend verkommen aus.
Als Martineau auf das eigentliche Flugfeld fuhr, hörte er be reits Flugzeugmotoren brummen. Er wartete ab, und plötzlich raste die Lysander aus der Dunkelheit herbei, landete sanft, machte kehrt und rollte auf ihn zu. Er stieg vom Motorrad und ließ es zur Seite kippen. Dabei kam er selbst zu Fall, rappelte sich aber wieder auf und torkelte vorwärts. Die Seitentür wurde aufgeschwungen, der Pilot lehnte sich herüber und brüllte: »Ich war im Zweifel, als ich die Uniform sah.«
Martineau zerrte sich an Bord. Der Pilot griff an ihm vorbei, klappte die Tür zu und verriegelte sie. Martineau musste plötz lich husten, Blut lief ihm über das Kinn.
»Mein Gott!«, rief der Pilot. »Sie ersticken ja an Ihrem eige nen Blut!«
»Das tue ich praktisch schon seit vier Jahren«,
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