Nacht der Füchse
registrierte da bei, dass die Bombeneinschläge nun weiter südlich lagen, ver mutlich auf der anderen Seite des Flusses. Jemand fegte Glas scherben zusammen. Sie machte einen Bogen darum und näherte sich dem Empfang, um sich abzumelden.
Die Nachtpförtnerin sprach mit zwei Männern. Sie sagte: »Ach, da kommt Schwester Drayton ja.«
»Miss Drayton«, sagte Jack Carter, »dies ist Brigadier Mun ro, und ich bin Captain Carter.«
»Was kann ich für Sie tun?« Ihre Stimme klang ziemlich tief und sehr angenehm.
Munro war sofort von ihr eingenommen. »Erinnern Sie sich an ein Gespräch vor zwei Jahren?«, fragte Carter. »Es ging um Geheimdienstfragen.«
»SOE?« Sie schaute ihn überrascht an. »Ich wurde abge lehnt.«
»Hm, nun ja, hätten Sie wohl einen Moment Zeit für uns? Wir würden gern mit Ihnen sprechen.« Carter führte sie zu ei ner Bank an der Wand, und die beiden Männer nahmen das Mädchen in die Mitte. »Sie sind auf Jersey geboren, Miss Drayton?«
»Ja.«
Carter nahm sein Notizbuch zur Hand und öffnete es. »Ihre Mutter hieß Margaret de Ville. Das interessiert uns besonders. Kennen Sie zufällig eine Mrs. Helen de Ville?«
»O ja. Eine Kusine meiner Mutter, auch wenn ich sie immer Tante Helen genannt habe. Sie war viel älter als ich.«
»Und Sean Gallagher?«
»Der General? Den kenne ich seit meiner Kindheit!« Sie war sichtlich verwirrt. »Was geht hier vor?«
»Alles zu seiner Zeit, Miss Drayton«, sagte Munro. »Wann haben Sie Ihre Tante oder General Gallagher zum letzten Mal gesehen?«
»1938. Damals starb meine Mutter, und mein Vater über nahm eine Arbeit in Malaya. Ich fuhr zu ihm.«
»Ja, das wissen wir«, sagte Carter.
Sie schaute ihn einen Augenblick lang stirnrunzelnd an, dann wandte sie sich an Munro. »Also, was soll das alles?«
»Die Sache ist im Grunde sehr einfach«, antwortete Dougal Munro. »Ich biete Ihnen eine Stellung bei der SOE an. Ich möchte, dass Sie für mich nach Jersey reisen.«
Sie starrte ihn erstaunt an, dann begann sie hilflos und bei nahe hysterisch zu lachen. Sie hatte einen langen Tag hinter sich.
»Aber, Brigadier«, rief sie, »ich kenne Sie doch kaum!«
»Seltsamer Bursche, dieser Harry Martineau«, sagte Munro. »Ich kenne keinen, der so ist wie er.«
»So wie Sie ihn beschreiben – ich auch nicht«, sagte Sarah.
Der Wagen, der sie nach Lulworth Cove brachte, war ein großer Austin, und die Passagiere waren durch eine Glaswand vom Fahrer getrennt. Munro und Jack Carter saßen nebenein ander im Fond, Sarah Drayton auf dem Klappsitz mit dem Rücken in Fahrtrichtung. Sie trug ein Tweedkostüm mit Falten rock, braune Strümpfe und schwarze Halbschuhe mit nicht ganz flachen Absätzen und eine cremefarbene Seidenbluse mit schwarzem Binder. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Blick huschte aufgeregt hin und her, und sie wirkte sehr attraktiv. Und überaus jung.
»Vorletzte Woche hatte er Geburtstag«, sagte Carter.
»Wie alt ist er geworden?«, fragte sie interessiert.
»Vierundvierzig.«
»Ein Kind dieses Jahrhunderts, wie es so schön heißt«, schaltete sich Munro ein. »Geboren am 17. April 1900. Er muss ihnen schrecklich alt vorkommen.«
»Widder«, stellte sie fest.
Munro musste lächeln. »Stimmt. Vor unserer so genannten Aufklärung galt die Astrologie als Wissenschaft. Wussten Sie das?«
»Nein.«
»Zum Beispiel kamen bei den alten Ägyptern als Generäle nur Männer in Frage, die als Löwen geboren waren.«
»Ich bin Löwe«, sagte sie. »27. Juli.«
»Ach, dann steht Ihnen ja ein kompliziertes Leben bevor. Eine Art Hobby von mir. Nehmen wir mal Harry. Sehr begabt, ein brillanter, analytischer Verstand. Mit achtunddreißig Pro fessor an der besten Universität der Welt. Und nun schauen Sie sich an, was er in seiner Lebensmitte ist.«
»Wie erklären Sie sich das?«, wollte sie wissen.
»Die Astrologie liefert uns die Erklärung. Widder – das ist ein Sternzeichen für Krieger, doch im Allgemeinen sind Men schen, die etwa Harrys Alter haben, an der Oberfläche etwas anderes als tief drinnen. Mars herrscht über die Zwillinge, müssen Sie wissen.«
»Und?«
»Nun ja, solche Leute können irgendwie schizophren sein. Auf einer Ebene ist er Harry Martineau, Gelehrter, Philosoph, Poet, von Vernunft durchdrungen, dagegen auf der dunklen Seite seines Wesens…« Er zuckte die Achseln. »Ein kaltblüti ger, rücksichtsloser Killer. Ja, auf seltsame Weise mangelt es ihm an Gefühl, finden Sie nicht auch,
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