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Nacht der Füchse

Titel: Nacht der Füchse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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nach Regen. Trotzdem erlebte er unvermutet einen ganz besonderen Augenblick. Meer und Himmel schienen mit­ einander zu verschmelzen. Während er sich durch die Wogen kämpfte, verklangen für kurze Zeit alle Geräusche. Nichts war mehr wichtig. Weder die Vergangenheit noch die Zukunft. Nur das Hier und Jetzt. Als er sich auf den Rücken drehte, flog eine Möwe über ihn hinweg, und es begann zu regnen.
    »Macht’s Spaß, Harry?«, rief eine Stimme.
    Martineau drehte sich zum Ufer und erblickte Munro in ei­ nem alten Tweedmantel, auf dem Kopf einen verbeulten Hut, in der Hand einen aufgespannten Regenschirm. »Mein Gott!«, rief er. »Du, Dougal?«
    »Ganz der Alte, Harry. Komm rauf ins Haus. Ich möchte dich jemandem vorstellen.«
    Nach dieser Äußerung wandte er sich um und überquerte den Strand. Martineau blieb noch einen Moment in den Wellen und hing seinen Gedanken nach. Dougal Munro kam ihn nicht ohne Grund besuchen – nicht die weite Strecke von London hierher. Erregung durchströmte ihn, und er watete aus dem Wasser, rieb sich energisch ab, zog den Trainingsanzug über und lief den Klippenweg hinauf. Jack Carter stand zigaretterauchend auf der Veranda und schaute dem Regen zu.
    »Was – Sie auch, Jack?« Martineau lächelte ehrlich erfreut und ergriff die ausgestreckte Hand. »Will mich der alte Knabe wieder in den Dienst schicken?«
    »Etwas in der Art.« Nach kurzem Zögern fügte Carter hinzu: »Harry, ich finde, Sie haben genug getan.«
    »Ein solches Wort gibt’s bei mir nicht, Jack, nicht bevor man meinen Sarg zunagelt und in der Erde versenkt.« Martineau schob sich an Carter vorbei und trat ein.
    Munro saß am Feuer und studierte den Notizblock, den er auf dem Tisch gefunden hatte. »Du dichtest noch immer mehr schlecht als recht?«
    »Hab ich doch immer getan.« Martineau nahm dem anderen den Block fort, riss das oberste Blatt ab, knüllte es zusammen und warf es in den Kamin. Erst jetzt bemerkte er Sarah Dray­ ton, die an der Küchentür stand.
    »Ich mache Tee für alle. Hoffentlich ist Ihnen das Recht, Co­ lonel Martineau. Ich bin Sarah Drayton.«
    Sie ersparte es sich, ihm die Hand zu reichen, die viel zu stark gezittert hätte. Sie spürte, dass sie den Tränen nahe war. Vor Aufregung hatte sie ein flaues Gefühl im Magen, die Keh­ le war ihr wie zugeschnürt. Coup defoudre, so nannten es die Franzosen. Der Donnerschlag. Die beste Art zu lieben. Über­ gangslos und unwiderruflich.
    Im ersten Moment reagierte er auch, wischte sich eine schwarze Haarlocke aus der bleichen Stirn und lächelte char­ mant mit aufleuchtenden Augen; dann aber verschwand das Lächeln wieder, und in seiner Stimme lag unterdrückter Zorn, als habe er Munro durchschaut.
    »Mein Gott, was bist du doch für ein Schweinehund, Dougal. Nehmen wir jetzt schon Schulmädchen?«

    Es dauerte nicht lange, Hugh Kelsos Missgeschick zu schil­ dern, doch das war nicht alles, was Munro zu berichten hatte.
    »Neulich haben wir in Paris einen gewissen Braun über die Klinge springen lassen. Jack weiß die Einzelheiten. Ich glaube, die Sache wird dich interessieren.«
    »Gestapo?«
    »Nein, SD.« Carter wandte sich an Sarah Drayton, die auf der anderen Seite des Kamins saß. »Gemeint ist der Sicher­ heitsdienst der SS, direkt Himmler unterstellt. Mächtiger als jede andere Organisation in Deutschland.«
    »Was ist mit Braun?«, fragte Martineau.
    »Nun ja, seinen Papieren zufolge war er RFSS.« Wieder schaute Carter zu Sarah hinüber. »Das heißt: ›Reichsführer SS‹. Es handelt sich dabei um eine Binde, die Angehörige von Himmlers persönlichem Stab am Uniformärmel tragen.« Er zog einen Umschlag aus der Akte, die er in der Hand hielt, und reichte ihn Martineau. »Offenbar war Braun eine Art reisender Botschafter und ermächtigt, Nachforschungen anzustellen, wo es ihm beliebte.«
    »Mit einer Vollmacht, die ihn über alle stellte, mit denen er es zu tun bekam«, fuhr Munro fort. »Lies mal diesen Brief.«
    Martineau zog das Blatt aus dem Umschlag und entfaltete es.
    Das Briefpapier war von vorzüglicher Qualität, der Briefkopf schwarz geprägt.

    DER REICHSFÜHRER-SS Berlin, den 9. November 1943

    SS-Sturmbannführer Braun, Erwin, SS-Nr. 107 863

    Der oben genannte Offizier handelt auf persönlichen Befehl in einer Angelegenheit von größter Bedeutung für das Reich. Alle militärischen und zivilen Dienststellen werden hiermit unab­ hängig von ihrem Rang angewiesen, Sturmbannführer Braun in jeder ihm geeignet

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