Nacht der Füchse
»Da ich mich um dieses Kleinkind kümmern muss und die Zeit knapp ist, haben Sie hoffentlich nichts dagegen, wenn ich mich ein bisschen einmi sche.«
»Bitte sehr, Sir.«
Martineau nahm eine Pistole zur Hand. »Walther PPK, halb
automatisch. Das sieben Schuss fassende Magazin wird in den Griff geschoben. Wenn Sie den Schlitten zurückziehen, kann es ernst werden. Das Ding ist nicht allzu groß. In Ihrer Handta sche würde es nicht weiter auffallen, aber seinen Zweck erfül len, und darauf kommt es an. Jetzt gehen wir ein bisschen näher an die Ziele heran.«
»Gut.«
Sie schritten durch den Tunnel, bis die Figuren nur noch zehn, zwölf Meter entfernt waren. »Wenn er ganz dicht neben Ihnen steht, so dass Sie ihm beim Schießen die Waffe auf die Haut drücken können, tun Sie’s, aber Sie sollten niemals weiter entfernt sein als jetzt. Nehmen Sie einfach den Arm hoch und richten Sie die Waffe auf ihn. Beide Augen offen lassen und sehr schnell schießen.«
Diesmal traf sie das Ziel sechsmal in Brust und Bauch. »Au ja«, sagte sie aufgeregt. »Das war nicht übel, oder?«
Als sie zum Ausgangspunkt zurückgingen, sagte er: »Ja – aber könnten Sie im Ernstfall auch wirklich schießen?«
»Das kann ich ja wohl erst beantworten, wenn es so weit ist«, entgegnete sie. »Aber was ist mit Ihnen? Man hört viel Gerede, sieht aber nicht viel Konkretes.«
Auf dem Tisch lag eine zweite Walther, an deren Lauf ein rundes schwarzes Stahlrohr befestigt war. »Dies ist ein so ge nannter Carswell-Schalldämpfer«, erklärte Martineau. »Spezi ell für SOE-Agenten entwickelt.«
Sein Arm zuckte hoch. Er schien gar nicht zu zielen, schoss zweimal in schneller Folge und traf ins Herz der Zielfigur. Zu hören waren nur zwei dumpfe Laute – eine eindrückliche Vor führung.
Er hatte die Waffe wieder gesenkt und drehte sich um. Die Augen in dem bleichen Gesicht waren ausdruckslos. »Ich habe noch zu tun. Dougal möchte uns in einer halben Stunde in der Bibliothek sprechen. Bis dann.«
Er verließ den Kellerraum. Ein bedrückendes Schweigen trat
ein. »Er schien wütend zu sein«, sagte Sarah.
»So ist der Colonel nun mal, Miss. Ich glaube, manchmal ge fällt ihm der Mensch nicht, den er in sich spürt. Letzten No vember hat er den Gestapo-Chef von Lyon getötet, einen gewissen Kaufmann. Einen Schlächter. Eine Lysander brachte ihn zurück, und er blutete grauenhaft. Zwei Lungensteckschüs se und andere Wunden. Seither ist er nicht mehr der Gleiche.«
»Inwiefern?«
»Ich weiß nicht recht, Miss.« Kelly runzelte die Stirn. »He, dass Sie sich seinetwegen keine Flausen in den Kopf setzen! Ich weiß, wozu ihr modernen Mädchen fähig seid. Ich habe eine Tochter in Ihrem Alter bei einer Luftabwehrbatterie in London. Vergessen Sie nicht, dass er fünfundzwanzig Jahre älter ist als Sie.«
»Wollen Sie damit sagen, dass er zu alt ist?«, fragte Sarah. »Ist das nicht dasselbe, als wollte man die Liebe zu jemandem verbieten, nur weil er Katholik oder Jude oder Amerikaner ist? Wo liegt da der Unterschied?«
»Solche Redereien übersteigen meinen Horizont.« Kelly zog eine Schublade auf und legte ein Stoffbündel auf den Tisch, das er vorsichtig aufschlug. »Ein kleines Geschenk für Sie, Miss, mag der Colonel denken, was er will.« Zum Vorschein kam eine kleine schwarze Automatic, sehr leicht, eine Waffe, die beinahe in Sarahs Hand verschwand. »Belgisches Fabrikat. Nur Kaliber .25, aber im Notfall gut zu gebrauchen. Bei der Größe lässt sich das Ding gut verstecken.« Er schaute Sarah nervös an. »Ich kenne Damen, die sich die Waffe oben in den Strumpf stecken – ich will Ihnen damit nicht zu nahe treten, Miss.«
Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich finde Sie wundervoll!«
»Das dürfen Sie nicht, Miss, wo Sie doch Offizier sind. Ist gegen die Vorschriften.«
»Aber ich bin kein Offizier, Sergeant.«
»Ich glaube doch, Miss. Wahrscheinlich gehört das zu den Dingen, die der Brigadier Ihnen sagen will. An Ihrer Stelle würde ich jetzt Schluss machen und in die Bibliothek gehen.«
»Schön, und vielen Dank.«
Sie ging, und Kelly machte sich seufzend daran, die Waffen wegzuräumen.
Munro, Carter und Martineau saßen bereits beim Nachmit tagstee, als Sarah die Bibliothek betrat. »Da sind Sie ja«, sagte Munro. »Setzen Sie sich. Der Kuchen ist lecker.«
Carter schenkte Tee ein. Sarah sagte: »Kelly sprach davon, ich sei jetzt Offizier. Was hat er damit
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