Nacht der Füchse
»Hierher gehöre ich. Dies ist meine Heimat. Wo bist du zu Hause, Harry?«
»Ich bin staatenlos, das passt zu mir«, antwortete er leicht hin. »Ein Amerikaner, der seit Jahren in Europa lebt und arbei tet. Ohne nennenswerte Familie.«
»Weltbürger?«
»Nein, kann man nicht sagen.« Martineau war innerlich auf gewühlt, das zeigte sich an seiner überraschend ärgerlichen Reaktion. »Mir fehlt nur jedes Zugehörigkeitsgefühl. Ich gehö re nirgendwohin. Durchaus möglich, dass ich besser 1918 in den Schützengräben gestorben wäre. Vielleicht wurde da im Himmel ein Fehler gemacht. Vielleicht dürfte ich gar nicht hier sein.«
Ärgerlich zog sie ihn zu sich herum. »Das sind schreckliche Worte! Ich bin deine zynische, sarkastische Tour allmählich leid, Harry Martineau! Kannst du nicht wenigstens ab und zu mal die Maske abnehmen? Wenigstens mir gegenüber?«
Ehe er antworten konnte, ertönte ein spitzer Schrei. Sarah und Martineau fuhren herum und schauten zu der kleinen Scheune hinunter, die hinter einigen Bäumen aufragte, und sahen Mary in Kleists Armen zappeln. Greiser stand lachend davor.
»Um Himmels willen, Harry, tu etwas!«, rief Sarah.
»Und ob – aber du hältst dich da heraus.«
Martineau eilte den Hang hinab, und im gleichen Augenblick stürmte Sean Gallagher schon zwischen den Bäumen hervor.
Der schlanke, junge Körper, den er an sich presste, erregte Kleist. »Still!«, rief er. »Sei ein braves Mädchen, dann tu ich dir nicht weh.«
Greisers Augen funkelten, er hatte halb den Mund geöffnet.
»Vergessen Sie nicht, Inspektor, gleiches Recht für alle, das ist mein Motto.«
Gallagher stürmte herein und stieß den Feldwebel wie ein Rugbyspieler mit der Schulter zur Seite. Als er Kleist erreichte, trat er dem Deutschen energisch von hinten ins linke Knie, das sofort einknickte, und landete dann einen kräftigen Schlag in die Nierengegend. Ächzend ging Kleist zu Boden und ließ das erschrockene Mädchen los.
Gallagher nahm Marys Korb, reichte ihn ihr und tätschelte ihr das Gesicht. »Alles in Ordnung, Mary«, sagte er. »Lauf zu Mrs. de Ville. Niemand wird dir etwas tun.«
Sie huschte davon wie ein verängstigtes Kaninchen. Als sich Gallagher umwandte, zog Greiser mit flackerndem Blick seine Mauser. Kleist rief: »Nein, Ernst, das ist ein Befehl! Er gehört mir.« Er rappelte sich auf, stemmte stöhnend die Hände in den Rücken und zog den Mantel aus. »Sie müssen einen Sprung in der Schüssel haben – wie alle Iren. Es wird Zeit, dass ich Ihnen eine Lektion erteile. Ich breche Ihnen beide Arme!«
»Ich bin nur halb Ire, da dürfte der Sprung nicht allzu groß sein – das wollen wir mal klarstellen.« Sean Gallagher zog ebenfalls die Jacke aus und warf sie zur Seite. »Habe ich Ihnen schon mal vom alten Harvey le Brocq erzählt, meinem Großva ter? Der ist mit zwölf schon auf Kabeljauschonern gefahren und holte später Getreide aus Australien. Mit siebenundzwan zig hatte er schon zwölfmal Kap Horn umfahren.«
»Rede nur«, sagte Kleist und ging langsam im Kreis um ihn herum. »Das nützt dir doch nichts.«
Er stürmte los und holte zu einem mächtigen Hieb aus, dem Gallagher mühelos auswich. »Damals war man als Bootsmaat nur so gut wie seine Fäuste – und er war gut. Sehr gut sogar.« Gallagher griff nun seinerseits geduckt an und landete einen Schwinger unter dem linken Auge des Deutschen. »Als ich als kleiner Junge von Irland herüberkam und meinen Großvater besuchte, nahmen mich die starken Jungs hier aus dem Dorf aufs Korn, weil ich so komisch redete. Ich kam weinend nach Hause, da führte mein Großvater mich in den Obstgarten und erteilte mir die erste Lektion – die erste von vielen. Wichtig sind die Technik und der richtige Zeitpunkt für den Schlag – nicht die Körpergröße. Ach, wie oft hat er mir das schmerzhaft zu Bewusstsein gebracht, dabei war er Laienprediger und hätte es nie für möglich gehalten, dass eines Tages die Brutalen die Welt regieren würden.«
Während des Sprechens wich er mühelos den Hieben des Deutschen aus – im Gegenzug schien jeder seiner Schläge dort zu landen, wohin er zielte. Vom Hang weiter oben verfolgten Sarah, Martineau und Mary Vibert, wie der Ire dem Inspektor einen gezielten Hieb nach dem andern versetzte.
Doch plötzlich schien das Schlimmste wahr zu werden. Gal lagher griff an, rutschte mit dem rechten Fuß im Gras aus und sackte zu Boden. Kleist nutzte die Chance, knallte dem anderen ein Knie vor
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