Nacht der Füchse
jungen Frauen, schwammen im Meer.
Martineau und Sarah lehnten sich an die Mauer. »Erstaunlich bürgerlich, nicht wahr?« Er gab ihr eine Zigarette.
Die Soldaten schauten herüber, vor allem natürlich wegen Sarah, und wandten sich wieder ab, als Martineau finster zu rückstarrte. »Ja«, sagte sie. »Damit hatte ich nicht gerechnet.«
»Wenn du genau hinschaust, wirst du feststellen, dass die meisten Soldaten da unten noch ganz jung sind, höchstens zwanzig. Die sind schwer zu hassen. Wenn man es mit einem Nazi zu tun hat, ist die Sache klar. Man weiß, wo man steht. Aber der zwanzigjährige Durchschnittsdeutsche in Uniform« – Martineau zuckte mit den Achseln – »ist eben nur ein Zwanzig jähriger in Uniform.«
»Woran glaubst du, Harry? Wohin führt dich dein Weg?«, fragte Sarah mit angespanntem Gesicht.
»Ich habe es dir schon einmal gesagt – ich bin ein sehr exi stenzialistisch eingestellter Mensch. ›Sofortiges Handeln‹ – Churchills Lieblingsspruch. Und das bedeutet, dass wir die Nazis besiegen müssen, denn sie müssen restlos vernichtet werden. Hitlers persönliche Philosophie ist für jeden Mensch lichkeitsbegriff unakzeptabel.«
»Und wenn alles vorbei ist? Was wird dann aus dir?«
Er lehnte an der Mauer und hatte die dunklen Augen auf das Meer gerichtet. »Als junger Mensch liebte ich Bahnhöfe, be sonders bei Nacht. Der Dampfgeruch, das Klagen einer Loko motivpfeife in der Ferne, die nächtlichen Bahnsteige in den großen, verlassenen viktorianischen Palästen, darauf zu warten, irgendwohin zu fahren, überallhin. Das gefiel mir, zugleich erfüllte es mich mit großem Unbehagen. Mit der Angst, wo möglich in den falschen Zug zu steigen.« Er wandte sich zu ihr um. »Verstehst du, sobald der Zug sich in Bewegung gesetzt hat, kann man nicht mehr aussteigen.«
»Der Bahnhof ist unheilvoll um Mitternacht«, sagte sie leise. »Die Hoffnung ist ein toter Brief.«
Er starrte sie an. »Woher hast du das?«
»Aus einem deiner schlechten Gedichte. Als ich dich in dei nem Häuschen kennen lernte, las der Brigadier dieses Gedicht. Du hast es ihm weggenommen und zerknüllt in den Kamin geworfen.«
»Und du hast es wieder herausgeholt?«
»Ja.«
Einen Augenblick lang fürchtete sie, er würde verärgert rea gieren. Aber dann lächelte er. »Moment.« Er ging über die Gleise zum Kübelwagen und öffnete die Tür. Als er zurück kam, hielt er einen kleinen Kodak-Fotoapparat in der Hand. »Helen hat mir das Ding geliehen. Der Film ist zwar vier Jahre alt, und sie übernimmt keine Garantie für die Aufnahmen.«
Martineau lief zu den beiden Soldaten hinüber. Nach kurzem Gespräch sprangen sie auf und nahmen Haltung an. Martineau gab einem den Fotoapparat und kehrte an Sarahs Seite zurück.
»Vergiss nicht zu lächeln.« Er zündete eine Zigarette an, steckte die Hände in die Manteltaschen und drehte sich um.
Sarah hakte sich bei ihm unter. »Wozu das?«
»Damit du eine Erinnerung an mich hast.«
Seine Antwort beunruhigte sie, und sie presste seinen Arm an sich. Der junge Soldat machte die Aufnahme. »Noch eine!«, rief Martineau auf Deutsch. »Für alle Fälle.«
Der junge Mann gab den Apparat zurück, lächelte scheu, grüßte und entfernte sich. »Hast du ihm gesagt, wer du bist?«, fragte Sarah.
»Natürlich.« Harry umfasste ihren Arm. »Lass uns weiter fahren. Ich muss einiges erledigen.« Sie überquerten die Gleise und kehrten zum Kübelwagen zurück.
Karl Müller war stolz darauf, dass er sich stets beherrschen konnte, dass er nur selten Gefühle zeigte. Er sah darin seine größte Gabe – die ihn nun allerdings zum ersten Mal zu verlas sen drohte.
»Was haben Sie gemacht?«, fragte er, am Fenster seines Bü ros stehend.
Kleist sah schlimm aus: Beide Augen waren purpurn ver quollen, die gebrochene Nase aufgedunsen. »Ein Missver ständnis, Herr Hauptmann.«
Müller wandte sich an Greiser: »Ist das auch Ihre Version? Ein Missverständnis?«
»Wir haben das Mädchen nur verhört, Herr Hauptmann. Sie geriet in Panik, aber da war schon Gallagher zur Stelle. Er hat die Sache völlig missverstanden.«
»Wie Ihr Gesicht beweist, Willi«, bemerkte Müller. »Und Vogel wurde auch noch hineingezogen.«
»Er erschien im ungünstigsten Moment«, bemerkte Greiser.
»Und sah die Dinge ebenfalls in völlig falschem Licht?« Müller begann sich aufzuregen. »Und jetzt muss ich mich strecken, um euch aus der Schusslinie zu bringen, wenn er heu te hier
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