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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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die Physik der Träume? Insbesondere in den Köpfen von Menschen?
    Frederic bekam den ganzen Dienstagvormittag über kein Wort mehr aus den Träumen heraus. Dafür stellte er fest, dass es in dem Käfig keine Toilette gab. Vielleicht gab es einen Traum von einer Toilette, irgendwo oben, zusammengeknäuelt, aber genau wusste man es natürlich nicht. Er fand einen Gully in einer Ecke, das musste reichen. Beobachteten ihn die Träume eigentlich aus ihrem verknäuelten Zustand heraus? Wenn hier wenigstens ein Traum von einer Art … äh … Vorhang herumgehangen hätte! Er begann im Käfig auf und ab zu gehen, ruhelos, mal im Viereck, mal im Kreis, blieb schließlich stehen und schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt! Es musste doch irgendetwas geschehen! Irgendetwas!
    Moment. War da nicht ein Schlurfen auf einer der oberen Etagen des Gerüsts? Er stand still und lauschte. Da! Da war es wieder! Natürlich. Der Traumwächter. Wer hatte das Tonband angestellt, wenn nicht er?
    »Hallo?«, rief Frederic. Dann lauter: »Hallo!«
    Er rannte zu dem Gitter, das an den Gang grenzte, und rüttelte daran, wie Gefangene das in Filmen zu tun pflegen. »Haaallooo! Ich bin hier eingesperrt!«
    Über einem der Bretter dort oben zeigte sich, winzig und hoch oben, ein Gesicht.
    »Das seid ihr alle«, sagte der Traumwächter.
    »Ich gehöre nicht hierher!«, schrie Frederic, so laut er konnte. »Ich bin kein Traum! Es ist … ein Irrtum! He! Sie kennen mich doch! Wir haben uns letzte Nacht in der Sparkasse getroffen!«
    Der Traumwächter schien zu überlegen.
    »Und – ich habe mich bei dem autoritären Tonband nicht … komprimiert!«
    Das Gesicht verschwand, die Schritte schlurften jetzt Leitersprossen hinunter und dann kam der alte Mann den Mittelgang entlang. Kurz darauf stand er vor Frederic.
    »Aa-ha«, sagte er.
    »Lassen Sie mich raus«, flüsterte Frederic. »Bitte! Ich …«
    Der Alte schüttelte langsam den Kopf. »Niemand kommt hier herein, ohne dass Bruhns ihn herbringt. Er wird seine Gründe gehabt haben.«
    »Aber Sie können mich doch nicht hier verhungern lassen!«, rief Frederic. »Verflucht, ich bin ein Mensch!«
    »Das mag wohl sein«, erwiderte der Alte langsam. »Und warum, lieber Mensch, ist es grausamer, einen Menschen gefangen zu halten als einen Traum? Überleg dir das mal. Du hast eine Menge Zeit hier. Außerdem verhungerst du nicht. Ihr werdet gefüttert.«
    »Ich esse aber kein Donnergrollen und keine toten Katzen!«, rief Frederic verzweifelt. »Und es ist besser für alle, wenn Sie mich rauslassen. Da draußen war ich Bruhns dicht auf der Spur. So dicht, dass er Angst bekommen hat.«
    »So dicht, dass er dich in einen Käfig geworfen hat«, ergänzte der Alte, schnalzte mit der Zunge und schüttelte abermals den Kopf. »Du bist weit davon entfernt, Bruhns etwas anhaben zu können. Vergiss es.«
    »Mögen Sie ihn denn? Sie wollten weglaufen!«
    Der Alte seufzte. »Junge. Ich könnte dich gar nicht hier herauslassen. Selbst wenn ich wollte. Ich habe es dir schon gesagt, aber du glaubst mir wohl nicht: Ich habe die Schlüssel zu den Käfigen nicht. Alles, was ich besitze, ist der Schlüssel zur Außentür der Halle.«
    Frederic überlegte. »Sie kennen die alte Dame, die über uns wohnt. Ich habe Sie dort gesehen. Bitte, können Sie zu diesem Haus gehen und der jungen Frau im Erdgeschoss sagen, wo ich bin?«
    »Wohl kaum«, antwortete der alte Mann. »Weißt du, was Bruhns mit mir macht, wenn er herausfindet, dass ich dir geholfen habe? Dann wird das Leben für mich und die Träume hier noch …«
    Er verstummte, legte den Finger an die Lippen und schien zu lauschen. Frederic lauschte ebenfalls. Da war ein Geräusch an der Tür. Und im nächsten Augenblick ging sie auf.
    Zur Mittagszeit nahm Lisa einen Topf Spaghetti vom Herd, als es an die Scheibe klopfte. Sie drehte sich um und ließ vor Erstaunen beinahe den Topf fallen. Draußen stand Frederics Vater. Er machte Zeichen – Kreise und Striche – in die Luft. Lisa stellte den Topf ab und machte ebenfalls Kreise und Striche. Sie hatte keine Ahnung, was er sagen wollte. Er schien etwas verwirrt zu sein. Und wo war eigentlich Frederic? Lisa war ihm an diesem Tag noch gar nicht begegnet. Sie war gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte eigentlich geplant, nach den Spaghetti bei ihm vorbeizusehen.
    Sein Vater malte mehr Luftkringel.
    Lisa öffnete das Fenster. »Guten Abend, Herr Lachmann«, sagte

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