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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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sie. »Ich weiß, Sie reden nicht gern. Aber wäre es nicht trotzdem einfacher, es mit Worten zu versuchen?«
    Lachmann nickte. »Ich – äh. Sie schulden mir noch etwas Kaffee. Da dachte ich …«
    »Moment. Ich muss die Nudeln abgießen. Kommen Sie doch so lange herein.«
    Lachmann kletterte etwas ungeschickt durchs Fenster. Es war nicht hoch, aber seine langen Beine kamen ihm immer wieder in die Quere und gerieten in Gefahr, sich vor Verlegenheit zu verknoten. Er ließ sich in einen abgewetzten Sessel fallen, hob eine Gabel vom Tisch auf und drehte sie nachdenklich zwischen seinen Fingern.
    »Man hält es mit den Zinken nach unten«, erklärte Lisa. »Es heißt Gabel.«
    Er sah sie an, die Stirn gerunzelt, die Gabel noch immer in der Hand. Lisa seufzte, stellte das Nudelsieb auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber.
    »Was – ist – los?«
    »Los? Gar nichts. Wieso sollte etwas los sein?«
    Lisa seufzte. »Herr Lachmann. Ich bin vielleicht etwas chaotisch, aber dumm bin ich nicht. Es wird Sie wundern zu hören, dass ich in der Oberstufe Physik und Philosophie unterrichte.«
    »Was hat das mit mir zu tun?«
    »Nichts. Ich meine nur, dass ich durchaus A und B zusammenzählen kann. Sie reden normalerweise nicht gern mit mir. Sie tun es nur im Notfall, wenn Ihr Sohn zum Beispiel gerade nach einer Schlägerei mit zwei blauen Augen auf meinem Sofa liegt. Sie würden eher Kaffee im Internet bestellen, als sich den geliehenen Kaffee zurückzuholen. Und jetzt sitzen Sie freiwillig auf meinem ältesten Sessel – Vorsicht, die Federn sind kaputt, er kann nicht mehr richtig fliegen – und essen Spaghetti mit den Händen.«
    »Fliegen?«, fragte Hendrik. »Spaghetti? Mit den Händen? Ich?«
    Er starrte auf seine linke Hand, an der ein blassgelbes Stückchen Nudel klebte, und leckte langsam den Daumen ab.
    » Mit den Händen, Herr Lachmann.«
    Hendrik sah sie an.
    »Er ist weg, Lisa«, sagte er. »Er ist nicht zurückgekommen. Die Polizei hat sich nicht gemeldet, obwohl ich eine Suchanzeige … Wir haben uns gestritten, wegen der Schule. Ich wollte ihn verstehen. Ich wollte ihn immer verstehen. Wir hätten uns beinahe wieder vertragen. Aber dann kam sein Direktor und hat behauptet, er hätte ein Paket gestohlen, gestern Morgen, und er ist aus dem Fenster und … wir haben zusammen die Polizei informiert, Herr Bruhns und ich. Wir haben sogar die Nummer der Schule hinterlassen, falls ich nicht erreichbar wäre.«
    Lisa schlug eine Hand vor den Mund, den sie zu einem ganz kleinen erschrockenen »O« geöffnet hatte.
    Hendrik betrachtete sie irritiert und fuhr schließlich fort: »Ich habe auch die Eltern von diesem Mädchen angerufen, das mal hier war. Die aus seiner Klasse. Sie heißt so ähnlich wie Emma.«
    »Änna.«
    »Sie kennen sie?«
    »Nein. Ich kenne Frederic. Wir sprechen bisweilen miteinander.«
    »Nun tun Sie nicht so vorwurfsvoll! Ich versuche es ja! Ich …« Er brach ab, stützte den Kopf in die Hände und sagte in das Spaghettisieb: »Sie wussten ebenfalls nichts. Keiner weiß etwas. Weder von dem Paket noch von Frederic.«
    »Was ist in dem Paket? Hat dieser Bruhns das gesagt?«
    »Ja. Fimo. Aber ich weiß nicht …«
    »… ob es stimmt«, sagte Lisa. »Garantiert nicht. Wir sollten herausfinden, was wirklich drin ist. Und fragen Sie auf keinen Fall einen gewissen Herrn Fyscher. Oder eine Frau Ziesel.«
    Sie beugte sich über den Tisch, auf der Suche nach seinem Blick.
    »Herr Lachmann?«
    Er sah auf, müde, alt. »Ich heiße Hendrik.«
    »Das mag schon sein. Aber ich duze keine Leute, die ihre Kinder so leichtsinnig verlieren. Ich schlage vor, wir lösen das Problem durch Arbeitsteilung: Sie finden das Paket. Ich finde Frederic.«
    »Wie denn?«, fragte er. »Wie wollen Sie das anstellen?«
    »Lassen Sie mich nur machen«, sagte Lisa. Aber sie konnte nicht verbergen, dass ihre Hände zitterten, als sie das Nudelsieb wegstellte, dessen Inhalt ganz und gar unwichtig geworden war. Auch Lisa machte sich Sorgen. Ernsthafte Sorgen.
    »Guten Tag, allerverehrtester Traumwächter«, sagte Bork Bruhns, seine Stimme lieblich wie eine Süßstofftablette. Hinter ihm drängten sich Sport-Fyscher und die Mathe-Ziesel. »Wir sind gekommen, um uns anzusehen, wie es unserem neuesten Fang geht.«
    Er schlenderte den Gang entlang und ließ den Blick suchend über die Käfige gleiten.
    »Wo sind die Träume von letzter Nacht? Ist Ihnen etwas Besonderes an ihnen aufgefallen? Sind sie … weniger komprimierbar?

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