Nacht der gefangenen Träume
Popcorn aßen, ein zahmes Zebra … immer mehr und mehr Träume. Aus dem Nachbarkäfig flimmerten die Töne und bunten Lichter eines Rockkonzerts herüber, irgendwo röhrte ein Hirsch, und ein Baby schrie um die Wette mit einem Kakadu.
»Ihr – ihr müsst euch alle wieder komprimieren!«, rief Frederic. »So geht das nicht! Es ist nicht genug Platz für alle da!«
Die ersten Träume begannen schon zu streiten.
»Nimm deinen Haken da weg!«, knurrte ein Teddybär einen Baustellenkran an. »Mach dich nicht so breit!«, keifte eine Armbanduhr, die sich von einer Geige bedrängt sah. »Hier war ich zuerst!«, motzte ein Kaugummiautomat und schubste eine lila Kuh beiseite.
Frederic hielt sich die Ohren zu. Sie würden sich alle gegenseitig zerquetschen. Sie würden ihn zerquetschen. Obwohl sie schwerelos und komprimierbar waren. Sie waren einfach viel zu viele! Und wenn sie ihn nicht zerquetschten, würde er vorher wahnsinnig werden. Ihr Gequake, Geschimpfe und Geschnatter füllte seinen Kopf, brachte sein Gehirn zum Vibrieren …
»Hört auf!«, schrie er. »Hört auf damit!«
Und dann drang etwas anderes zu ihm durch. Ein Geräusch hinter der Chaos-Kakofonie der Träume. Eine Stimme. Sie war laut und durchdringend und im Gegensatz zu den Träumen sehr organisiert.
»Mmmm-batt-hr-gumm«, sprach die Stimme – in etwa. »Rrrrrr – tara – smmm – krrk. Fatta – sssst – ri – umpf.«
Frederic nahm die Hände von den Ohren. Die Worte der Stimme wurden lauter, aber nicht verständlicher. »Irka – kmm«, sagte sie, »fffrr, uu samsn… kscht-kscht!«
Die Stimme kam von allen Seiten gleichzeitig, verstärkt durch mehrere Lautsprecher, die sie noch stärker schnarren und dröhnen ließen. Und was sie schnarrte und dröhnte, war eine Art Rede. Eine, die keinen Widerspruch duldete, ähnlich wie die eine alte Stimme, die Frederic in der Nacht aus dem Nebel hatte kommen hören. Doch diese Stimme war jünger. Es war die Stimme von HD Bruhns. HD Bork Bruhns. War er hier?
Im Mittelgang vor dem Käfig konnte Frederic niemanden entdecken.
»Krska seesn«, sagte die Stimme jetzt. »Krska seesn, seesn, seesn, seesn, seesn, seesn, seesn, seesn, krska seesn. Krska. Krska seesn.« Es gab ein Quietschen, und die Stimme sprach weiter: »Seesn – frr – hamp. Tzt. Kruuka suuun.«
Es war gar keine Stimme. Es war die Aufnahme einer Stimme. Eine Platte, auf der die Nadel festgehangen hatte. Dem Rauschen nach zu urteilen vielleicht auch eine CD, die von einem alten Tonband überspielt war. Frederic erinnerte sich an die Worte des kleinen roten Autos: Das autoritäre Tonband .
Vielleicht , hatte es gesagt, vergisst er heute das autoritäre Tonband, dann können wir groß bleiben!
Und tatsächlich: Rings um Frederic begann das Chaos sich zu legen. Besser gesagt: aufzusteigen. Die Träume flackerten, schrumpften, komprimierten sich schließlich ganz und entschwebten in Richtung Decke. Je länger das autoritäre Tonband schimpfte und befahl, desto leerer wurde es in den Käfigen; desto leiser in der Fabrikhalle. Manche der Träume kämpften lange dagegen an, doch letztlich gaben sie alle auf und verdichteten sich. Sie verkleinerten sich aus reinem Entsetzen, wie es schien.
»Schschsch – holka – prrtn – tn«, sagte Bruhns’ gnadenlose Stimme kalt. »Errk.«
Neben Frederic kugelte sich der letzte mutige Traum zusammen – ein Traum von einem Streuselkuchen – und stieg als trauriges, dunkles, unerkennbares Knäuel hinauf zu seinen Artgenossen, die sich jetzt wieder als schwarze Masse ängstlich unter dem Gitter dort oben drängten. Frederic saß allein auf dem Betonboden des Käfigs.
Das autoritäre Tonband verstummte mit einem letzten, bösen »Kssss«. Dannach war es sehr still.
Er konnte sich selbst in der Stille atmen hören, laut wie ein Blasebalg. Einerseits war er dankbar dafür, nicht zerquetscht worden zu sein. Andererseits fühlte er sich furchtbar.
Er griff in seine Hosentasche und zog den Fetzen heraus, den er versehentlich vom Tonband der Maschine abgerissen hatte. Das also war es. In der Maschine befand sich dieselbe Art von autoritärem Tonband. Harmloses Plastik. Eine Rede ohne Worte. Und doch – die Träume in ihrer Naivität schüchterte sie ein. Geschah das Gleiche mit ihnen, wenn sie sich noch in den Köpfen der Menschen befanden? Machten Worte wie »Krska seesn« die Träume klein, vorausgesetzt, man sprach sie richtig aus? Vielleicht.
Aber wer wusste schon Bescheid über
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