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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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Schmetterling mit den Turnschuhen flatterte auf; der Gletscher entfloh gleich ganz, knäuelte sich zusammen und entschwebte in Richtung Käfigdecke. Und der Außerirdische floh ihm nach.
    »Schade«, murmelte Frederic. Den Außerirdischen hätte er nun wirklich gerne kennengelernt.
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Geburtstag.
    »Das macht keinen Sinn«, sagte Frederic.
    »Aber es ist mein Lieblingssatz. Herzlichen Glückwunsch.«
    Frederic seufzte. Offensichtlich war dieser Geburtstag nicht der Schlauste.
    »Was bist du denn?«, fragte der Schmetterling, landete und band sich mit einem Fühler seinen linken Turnschuh neu. »Du fühlst dich nicht an wie ein Traum. Du schwebst gar nicht. Und du bist nicht durch die Schleuse gekommen, an die er immer die Maschine anschließt und die anderen hereinpumpt. Du bist durch die Tür gekommen.«
    Es klang etwas anklagend. Beinahe hätte Frederic gesagt: »Oh. Das tut mir leid.«
    Aber im letzten Moment wurde er sich bewusst, wie unsinnig das war. Überhaupt schien hier alles ziemlich unsinnig zu sein. Bis eben hatte er sich einsam, kalt und tragisch gefühlt. Doch es ist schwer, so ein Gefühl aufrechtzuerhalten, wenn man sich von Geburtstagen und Schnürsenkel bindenden Schmetterlingen umringt sieht. Von oben schlängelte sich jetzt etwas Neues heran und landete ebenfalls neben ihm. Es war eine Straße. Sicher. Warum sollte niemand von Straßen träumen?
    »Roll dich gefälligst ein«, giftete der Schmetterling, »sonst nimmst du wieder so viel Platz weg. Siehst du nicht, dass wir einen Gast haben?«
    »Nein«, antwortete die Straße, »ich kann nichts sehen. Ich spüre es allerdings. Wer ist es? Was will er hier?«
    Ein Traum von einem kleinen roten Spielzeugauto parkte auf der Straße und richtete seine Scheinwerfer neugierig auf Frederic. »Ist er gekommen, um in mir zu fahren?«, hechelte es.
    »Vielleicht hat er heute Geburtstag?«, fragte der Geburtstag hoffnungsfroh.
    Frederic griff sich an den Kopf. Oh Mann. Murphys Gesetz Nummer fünf: Wenn du irgendwo eingesperrt wirst, dann bestimmt nur mit Idioten.
    »Wenn ihr endlich alle still wärt, könnte ich es erklären«, sagte er.
    Die Träume sahen ihn erwartungsvoll an.
    »Ich bin ein Mensch«, sagte Frederic. »Einer von denen, die euch produzieren. Bruhns hat mich zu euch gesteckt, weil er mich loswerden wollte. Weil ich Dinge herausgefunden habe. Über seine Zähne. Über die Maschine. Über dieses Gefängnis. Ich wollte …« Er zögerte. »Ich wollte, dass alles anders wird. Ich wollte die Maschine zerstören. Ich wollte, dass die Leute auf St. Isaac wieder von anderen Dingen träumen als von Pudding. Aber jetzt ist es wohl aus damit. Jetzt sitze ich hier fest. Letzte Nacht hat er einer … Bekannten von mir ihre Träume gestohlen …«
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Geburtstag teilnahmsvoll.
    Das kleine rote Auto ließ seinen Motor ärgerlich aufheulen. »Ich könnte ihn platt fahren!«, rief es. »Ganz platt, wie den Mittelstreifen der Straße! Den habe ich auch schon platt gefahren!«
    »Quatschkopf«, sagte die Straße. »Der war immer schon platt.«
    »Du kannst ihn nicht platt fahren«, seufzte Frederic. »Du bist nur ein geträumtes Auto, und außerdem viel zu winzig.«
    »Größer, als wenn ich komprimiert bin! Vielleicht vergisst unser Wächter heute das autoritäre Tonband, dann können wir groß bleiben! Ach, das wäre schön! Sieh nur! Es ist genug Zeit vergangen, seitdem er das Tonband zum letzten Mal abgespielt hat. Jetzt wachsen sie alle! Ja, wenn sie sich erst mal trauen, wenn sie erst mal mit dem Wachsen anfangen …«
    Es kam nicht weiter. Plötzlich wurde es exponentiell lauter um Frederic. Exponentiell, das wusste er aus Mathe, war, wenn etwas zuerst langsam wuchs und dann immer und immer schneller. Es war ein beunruhigendes Wort für eine beunruhigende Sache. Und hier passte es beunruhigend gut.
    Frederic hob den Kopf und sah, dass beinahe alle unkenntlichen Knäuel begonnen hatten, sich auszudehnen. Über ihm schwebten jetzt die verschiedensten Dinge und Lebewesen, und der Käfig war fast ganz voll. Besonders viel Platz nahmen zwei Eichen und ein gepunkteter Elefant weg. Dazwischen entfalteten sich ein Plüschsofa, Tüten voller Pommes, Lippenstifte, ein sich immer wieder entrollender und zusammenrollender Fußballrasen, ein Schwimmbad, ein Heißluftballon, ein Labyrinth im Maisfeld, zwei ideale Eltern, ein gähnender Sonntagvormittag, mehrere Kinobesuche, die geräuschvoll

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