Nacht der Geister
sollte das bei dieser Hitze machen müssen.«
Die Augen der jungen Frau wurden rund. Sie ließ ihren Lappen fallen und verschwand.
»Mist!«, murmelte ich. »Hätte ich das nicht sagen dürfen?«
Eine Tür knallte. Wir folgten dem Geräusch bis zur Rückseite des Hauses, wo wir das Dienstmädchen dabei antrafen, wie es sich im Garten erbrach.
»Die lassen sie Fenster putzen, wenn es ihr so schlechtgeht?«, sagte ich. »Gibt es da eigentlich keine Arbeitsschutzvorschriften?«
»Nicht im wirklichen neunzehnten Jahrhundert«, sagte Kris,
»und ich habe den Verdacht, da sind wir gerade.«
Bevor ich antworten konnte, fragte eine Stimme: »Ist dir wieder schlecht geworden, Bridget?«
Eine zweite, ebenso schlicht gekleidete junge Frau beugte sich aus der Tür.
»Das kommt davon, dass du jeden Morgen diese Eimer hinaustragen musst. Davon würde wirklich jedem Menschen schlecht werden. Und er könnte sich ein Wasserklosett leisten, aber er ist einfach zu knauserig.«
Bridget stöhnte und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Es sind nicht die Eimer. Es war das Essen gestern Abend. Ich habe ihm gesagt, der Hammeleintopf ist nicht mehr gut. Aber er hat gesagt «
»Bridget?« Ein unansehnlicher Klops von einer Frau mittleren Alters erschien auf der Hintertreppe. »Bridget! Was treibst du da draußen den ganzen Tag schwatzen? Ich will die Fenster sauber haben.«
»Ja, Ma’am.«
Bridget nahm das mitfühlende Nicken ihrer Kollegin zur Kenntnis und schleppte sich wieder ins Haus. Kristof und ich folgten ihr durch die Küche und ein Zimmer mit einem Sofa, mehreren Sesseln und einem Kamin. Der Hausherr Andrew schien sich gerade zu verabschieden; er nickte seiner Frau und einer rundgesichtigen, dunkelhaarigen jungen Frau auf dem Sofa zu und verschwand in Richtung Vordertür. Ihm schien der verdorbene Eintopf jedenfalls nichts angehabt zu haben.
Nebenan, in einer förmlicheren, eleganteren Version des Raums, den wir gerade verlassen hatten, griff Bridget nach ihrem Lappen und machte sich wieder an die Arbeit. Im Wohnzimmer beschäftigte sich die jüngere Frau war sie die Tochter des Hauses? mit ihrer Tapisseriestickerei, während die ältere, von der Andrew als Abby gesprochen hatte, eine Tischdecke auszuschütteln begann.
Die junge Frau war entschieden alt genug, um verheiratet zu sein, aber ich sah keinen Ring an ihrer Hand. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte die Schultern nach vorn gezogen, die Haltung einer Frau, die daran gewöhnt war, sich vor der Welt zu verstecken. Ihr hellblaues Kleid war schon zu oft gewaschen worden; gegen das dunkle Sofa wirkte sie wie ausgeblichen.
Aber trotz der scheinbaren Zaghaftigkeit führte sie die Nadel mit raschen, selbstsicheren Stichen.
Abby war inzwischen dazu übergegangen, die Uhr auf dem Kaminsims abzustauben. Die beiden Frauen wechselten bei der Arbeit kein einziges Wort, nicht einmal einen Blick, als sei jede von ihnen allein im Zimmer. Nach einer Weile verschwand Abby in den Vorraum, und ich hörte ihre Schuhe eine Treppe hinaufklicken. Die jüngere Frau hob den Kopf und lauschte auf die Schritte, und zu meiner Verblüffung sah ich in ihrem Blick jetzt die gleiche kühle Selbstsicherheit, mit der sie zuvor die Nadel geführt hatte.
»Okay, das hier führt zu nichts«, sagte ich. »Vielleicht hätte ich Andrew folgen sollen.«
Der Blick der jungen Frau hob sich unvermittelt, und einen Sekundenbruchteil lang trafen sich unsere Augen, dann sah sie wieder auf ihre Handarbeit hinunter.
»Hey«, sagte ich. »Hast du gesehen «
Bridget kam durchs Wohnzimmer gerannt und stürzte in die Küche hinaus; die Hintertür knallte, und Sekunden später hörte ich, wie sie sich draußen erneut erbrach. Die Frau auf dem Sofa hob den Kopf und sah zur Decke hinauf, wo ich Abbys Schritte herumhasten hörte. Dann stand sie auf, legte die Stickarbeit zur Seite und ging in den Vorraum hinaus.
»Ich schwör’s, gerade eben hat sie mich angesehen«, sagte ich zu Kristof, bevor wir ihr hinterherliefen.
Ich sah noch, wie die junge Frau die Haustür von innen verriegelte, bevor sie sich umdrehte und die Treppe hinaufzusteigen begann.
»Hey!«, rief ich hinter ihr her. »Warte!«
Sie blieb nicht stehen. Oben angekommen, ging sie den Flur entlang und durch eine offene Tür in ein Zimmer, in dem Abby gerade das Bett machte. Ein Paar Männerhosen hing über einem Stuhl, und Rasierzeug lag auf der Kommode neben einer Waschschüssel, in der Seifenschaum und Bartstoppeln schwammen. Auf
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