Nacht der Hexen
ich das war. Sie hat noch nicht mal angerufen.«
»Bei diesem Anruf geht es um die Zukunft eines unserer Zirkelmitglieder.«
Ich zögerte; dann zuckte ich zusammen. Meine Hochstimmung verflog. »O Gott. Kylie, stimmt’s? Sie hat sich dafür entschieden, den Zirkel zu verlassen. Sieh mal, ich habe mit ihr geredet, und ich werde noch mal mit ihr reden, wenn das hier erst mal vorbei ist.«
»Es geht hier nicht um Kylie. Es geht um dich.«
»Mich?«
»Nachdem wir von deiner letzten Eskapade erfahren haben, haben wir heute Morgen eine Dringlichkeitssitzung des Zirkels einberufen. Du bist aus dem Zirkel ausgeschlossen, Paige.«
»Was – ihr –« Die Worte blieben mir in der Kehle stecken.
»Die Entscheidung ist mit acht gegen drei Stimmen gefallen, bei zwei Enthaltungen. Der Zirkel hat entschieden.«
»N-nein. Acht zu drei? Das kann nicht sein. Ihr habt das Ergebnis manipuliert. Ihr müsst –«
»Ruf Abigail an, wenn du willst. Ich bin mir sicher, sie ist eine von den dreien, die dafür gestimmt haben, dich bleiben zu lassen. Sie wird dir sagen, dass es eine faire, offene Abstimmung war. Du kennst die Regeln für eine solche Verbannung, Paige. Du hast dreißig Tage Zeit, East Falls zu verlassen, und es ist dir nicht gestattet, die Unterlagen deiner Mutter –«
»Nein!«, schrie ich. »Nein!«
Ich legte das Telefon krachend zurück. Ohne mich umzudrehen spürte ich Cortez hinter mir.
»Die haben mich ausgeschlossen«, flüsterte ich. »Sie haben abgestimmt und beschlossen, mich aus dem Zirkel zu verbannen.«
Wenn er darauf antwortete, dann hörte ich es nicht. Das Blut donnerte mir in den Ohren. Irgendwie schaffte ich es die drei Schritte zum Sessel und fiel hinein. Cortez setzte sich auf die Armlehne, aber ich wandte mich ab. Niemand konnte nachvollziehen, was dies für mich bedeutete, und ich wollte nicht, dass jemand es versuchte. Als er sich über mich beugte, bewegten sich seine Lippen, und ich wappnete mich für das unvermeidliche »Es tut mir leid«.
Er sagte: »Sie haben Unrecht.«
Ich sah zu ihm auf. Er beugte sich zu mir herunter und strich mir das Haar aus dem Gesicht, wobei er die Gelegenheit nutzte, mir zugleich mit dem Daumen über die Wange zu streichen.
»Sie haben Unrecht, Paige.«
Ich vergrub das Gesicht in seiner Seite und begann zu schluchzen.
Ich wusste, den Ältesten war nicht mehr zu helfen – das galt für all die älteren Hexen. Sie waren in ihren Überzeugungen und ihrem Lebensstil festgefahren, und ich konnte wenig tun, um das zu ändern. Ich würde meine Zeit nicht mit solchen Bemühungen verschwenden. Stattdessen wollte ich mich auf die jüngere Generation konzentrieren, auf Hexen wie Kylie, die im Herbst aufs College gehen würde und sich ernsthaft überlegte, ganz mit dem Zirkel zu brechen.
Die jüngere Generation retten und die ältere aussterben lassen. Danach würde ich den Zirkel reformieren können, ihn zu einer Institution machen, der sich die Hexen freiwillig anschlossen, statt einer, der sie zu entkommen versuchten. Wenn der Zirkel einmal seine Kraft und Vitalität zurückgewonnen hatte, konnten wir versuchen, Kontakt zu anderen Hexen aufzunehmen, ihnen Fortbildungsmöglichkeiten undGemeinschaft anbieten und eine wirkliche Alternative für diejenigen, die Macht nur in der schwarzen Magie sehen konnten wie Eve. Ich würde den Zirkel flexibler machen, anpassungsfähiger, attraktiver, besser dazu geeignet, den Bedürfnissen aller Hexen gerecht zu werden. Ein ungeheuerliches Vorhaben, gar keine Frage, und vielleicht etwas, das ich in meinem eigenen Leben gar nicht verwirklichen konnte. Aber ich konnte wenigstens anfangen. Ich konnte es versuchen.
Dies war mehr als eine Vision, es war die Verkörperung jeder Hoffnung, die ich jemals gehegt hatte, seit ich alt genug gewesen war, um überhaupt Hoffnungen zu haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, den Zirkel zu verlassen, konnte es buchstäblich nicht vor mir sehen. Niemals in meinem ganzen Leben hatte ich mich gefragt, wie ein Leben außerhalb des Zirkels aussehen würde. Ich hatte niemals davon geträumt, anderswo zu leben als in Massachusetts. Ich hatte niemals davon geträumt, mich zu verlieben und zu heiraten. Ich hatte nie auch nur von Kindern geträumt. Der Zirkel war mein Traum, und ich hatte nichts jemals erwogen, das diesem Traum in die Quere hätte kommen können.
Was sollte ich jetzt also tun? Mich zusammenrollen und weinen? Mich von den Ältesten verjagen lassen? Niemals. Als der erste Kummer über die
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