Nacht der Hexen
Niemand in Nasts Organisation würde es wagen, sich diese Belohnung verdienen zu wollen. Lass mich zunächst darauf hinweisen, dass Leah die Neigung hat, Tatsachen durcheinander zu bringen. Es ist nicht so, dass die Frau meines Vaters und meine drei Halbbrüder alle Kopfgelder auf mich ausgesetzt haben. Nach dem, was ich zuletzt gehört habe, bieten nur Delores und mein ältester Bruder welche an. Carlos, der Jüngste von Delores’ Söhnen, hat es eine Weile getan, aber in letzter Zeit haben seine Schulden ihn gezwungen, das Angebot zurückzuziehen. Und was William betrifft, so hat er nie auch nur versucht, jemanden anzuheuern, der mich umbringt – wahrscheinlich weil er gar nicht erst auf den Gedanken gekommen ist.«
»Ist das dein Ernst?«
»Das mit William? Unglücklicherweise ja. Er ist hinreichend intelligent, aber ihm geht jede Initiative ab.«
Ich boxte ihn in die Schulter. »Ha, ha. Du weißt genau, was ich meine. Ist es dein Ernst, dass deine Brüder ein Kopfgeld auf dich aussetzen?«
»Vollkommen, obwohl ich vorschlagen würde, dies meinem Vater gegenüber nicht zu erwähnen. Er ist davon überzeugt, dass er diese Frage schon vor Jahren geklärt hat. Den Bastarderben umzubringen ist ausdrücklich verboten. Jedes Familienmitglied, das bei einem solchen Versuch ertappt wird, muss mit harten Strafen rechnen. Er hat versucht, ihnen mitder Todesstrafe zu drohen, aber das hat nicht funktioniert, also hat er es abgeändert zu dem schlimmsten denkbaren Schicksal: der Enterbung.«
»Ihr Typen habt die gestörten Familienverhältnisse wirklich zu einer schönen Kunst entwickelt, was?«
»Die Cortez’ waren schon immer Überflieger.«
Wir teilten uns den nächsten Schluck Wein.
»Du hast gefragt, wo ich lebe«, sagte er.
»Stimmt.«
»Ich glaube, der gängige Ausdruck für meinen Lebensstil ist ›ohne festen Wohnsitz‹. Seit meinem Studienabschluss habe ich nie lang genug an einem Ort gelebt, um auch nur eine Wohnung zur Untermiete zu nehmen. Meine Arbeit – die juristische und die andere – hält mich in Bewegung. Angesichts all meiner Nebentätigkeiten bin ich ganz offensichtlich denkbar ungeeignet für eine feste Stelle in einer Kanzlei. Stattdessen übernehme ich Einzelaufträge für Paranormale.«
»Der Anwalt des Paranormalen.«
»Fast genauso schlimm wie ›Superheld‹, oder? Es bringt mir genug ein, um davon zu leben, nicht mehr und nicht weniger. Was wichtiger ist, es gibt mir Gelegenheit, das zu tun, was ich wirklich tun will.«
»Die Welt retten?«
»Ein Gedanke, von dem ich mir sicher bin, dass er dir vollkommen fremd ist.«
»Hey, ich versuche nicht, die
ganze
Welt zu retten, nur meine Ecke von ihr.«
Er lachte und legte die Arme fester um mich. Wir küssten uns ein paar Minuten lang; dann machte ich mich widerwillig los.
»Ich will mehr wissen«, sagte ich. »Über dich und das, wasdu tust. Aber ich nehme an, wir sollten versuchen, wenigstens
etwas
Schlaf abzukriegen.«
»Wahrscheinlich. Wenn man nach den beiden letzten Tagen gehen kann, werden wir ihn brauchen.« Er streckte die Hand nach seiner Brille aus; dann sah er mich an. »Gibt es eine Möglichkeit, heute Nacht getrennte Betten zu vermeiden? Ich weiß, dass Savannahs Anwesenheit ein Faktor ist –«
»Einer, der sich mit ein, zwei Schließformeln ausgleichen lässt.«
Am Morgen wachte ich auf und stellte fest, dass ich allein war. Zuerst glaubte ich, Cortez hätte sich in der Nacht davongestohlen und wäre zu seinem Sofa zurückgekehrt, was ein sehr schlechtes Zeichen gewesen wäre. Aber als ich mich streckte, stellte ich fest, dass seine Seite des Bettes noch warm war.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Elf Uhr? Ich hatte seit meiner Studentenzeit nicht mehr so lang geschlafen. Kein Wunder, dass Cortez auf war.
Ich fiel etwas groggy aus dem Bett, zog meinen Kimono über und machte mich auf den Weg ins Bad. Die Tür war angelehnt, also stieß ich sie auf – und Cortez gegen die Schulter, der über das Waschbecken gebeugt dastand und sich rasierte.
»Entschuldige«, sagte er.
»Was? Dass du neben der Tür gestanden hast?«
Ein kleines Lächeln. »Dass ich die Tür offen gelassen und damit den Eindruck erweckt habe, dieser Raum sei leer.« Er gestikulierte zum Spiegel hin, der von seiner Dusche noch beschlagen war. »Ich habe sie zum Lüften aufgemacht. Ich wusste nicht, wo der –«
Ich drückte auf einen Schalter außen neben der Tür, und ein Rauschen erfüllte den Raum.
»Ah,
da
ist der Ventilator«, sagte
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