Nacht der Hexen
wie möglich. Nach einigen Minuten begannen meineAugen zu tränen. Als ich schließlich wieder zu ihr hinsehen musste, stand sie vor dem Spiegel – stand einfach da, musterte sich und runzelte die Stirn. Ich sah wieder fort.
»Okay, ich bin jetzt eine Frau«, murmelte sie ihrem Spiegelbild zu. »Also mach schon voran und tu irgendwas.« Sie schnaubte. »Was für’n Beschiss.«
Damit stapfte sie zur Dusche hinüber und kletterte hinein. Als das Wasser zu strömen begann, schob ich mich aus meinem Versteck und schoss zur Tür, blieb stehen, wandte mich zurück, spülte mir hastig den Mund mit Mundwasser aus und ging.
Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich in die Küche, wo ich Cortez dabei antraf, dass er den Inhalt des Kühlschranks in Augenschein nahm. Er sah auf, als ich hereinkam, warf einen raschen Blick hinter mich, und als er keine Savannah entdeckte, zog er mich an sich und küsste mich.
»Der Letzte für heute, nehme ich an«, sagte er und schnupperte. »Du riechst gut.«
»Nicht mein Verdienst«, murmelte ich. »Meine Mom hat immer zu mir gesagt, man sollte den Tarnzauber niemals dazu verwenden, anderen Leuten nachzuspionieren, sonst würde man nur Dinge erfahren, die man nicht wissen will. Okay, und ich habe gerade herausgefunden, warum mein Shampoo und mein Parfüm immer so schnell weg sind. Und jetzt weiß ich auch, warum meine Freundinnen sich immer darüber beschwert haben, dass ihre kleinen Schwestern ihr Zeug verwenden.« Ich griff nach der Kühlschranktür. »Hast du solche Probleme auch gehabt?«
»Nein«, sagte er, während ich in den fast leeren Kühlschrank spähte. »Ich war ein Einzelkind, genau wie du.«
Ich hielt etwas verwirrt inne. Ich wusste schließlich, dass erdrei ältere Brüder hatte – halt, Moment. Mir fiel ein, was Leah über seine Eltern gesagt hatte, dass er … Die Worte fehlten mir. Nicht, dass ich nicht ein paar gekannt hätte. Illegitim, außerehelich geboren, und dann war da noch das B-Wort, das ich nicht verwenden würde, nicht einmal, wenn Cortez es auf sich selbst anwandte. Es hörte sich alles so negativ, so archaisch an. Vielleicht waren die Begriffe deshalb archaisch, weil es keine Notwendigkeit für eine solche Bezeichnung mehr gab. Wenn ein Kind in einer außerehelichen Beziehung gezeugt wird, dann liegt die Verantwortung für das fragwürdige Benehmen bei den Eltern, nicht bei dem Kind. Im einundzwanzigsten Jahrhundert sollte man eigentlich aufgeklärt genug sein, um das zu wissen. Aber nach der Art, wie Leah das Ganze zur Sprache gebracht hatte, als beiläufig in seine Richtung geworfene Bosheit, wusste ich, der Rest der Kabalenwelt würde es Cortez nicht vergessen lassen.
»Nicht mehr viel drin«, sagte er über meine Schulter. »Wenn die Eier noch gut sind, könnte ich ein Omelett machen. Ja, ich weiß, das habe ich gestern schon getan, aber mein Repertoire ist extrem beschränkt. Die andere Möglichkeit wäre ein hartgekochtes Ei, obwohl ich Eier auch schon zu Golfbällen gekocht habe.«
»Du hast schon genug getan. Ich mache Frühstück. Eier, Pfannkuchen oder Toast?« Ich warf einen Blick auf das Weißbrot. Die Kanten hatten einen ungewöhnlich hübschen hellen Türkiston angenommen. »Okay, vergiss das mit dem Toast.«
»Was am einfachsten ist.«
»Pfannkuchen«, sagte Savannah, die gerade in die Küche gefegt kam.
»Dann deckst du den Tisch, und ich koche.«
Das Votum
A ls wir mit dem Frühstück – oder war das ein Brunch? – fertig waren, war es früher Nachmittag. Cortez bestand darauf, abzuräumen, und bestand auch auf Savannahs Unterstützung dabei. Ich nahm meinen Kaffeebecher und war auf dem Weg Richtung Wohnzimmer, als das Telefon klingelte. Cortez warf einen Blick auf die Anzeige.
»Victoria Alden. Willst du den Anrufbeantworter drangehen lassen?«
»Nein, ich rede mit ihr. Nach den letzten paar Tagen kann Victoria so schlimm nicht sein … Hallo, Victoria«, sagte ich in den Hörer.
Schweigen.
»Anruferanzeige, weißt du noch?«, sagte ich. »Wunderbare Erfindung.«
»Du hörst dich heute ja sehr gut gelaunt an, Paige.«
»Bin ich auch. Die Gaffer sind weg. Die Medienleute rufen nicht mehr an. Die Lage hat sich ganz entschieden verbessert.«
»Gestern Abend Margarets Auto zu stehlen und die Polizei über einen Friedhof zu jagen sind also Dinge, die du als eine Verbesserung der Situation betrachtest?«
»Oh, das war doch gar nichts. Wir sind sehr vorsichtig gewesen, Victoria. Die Polizei wird nicht rausfinden, dass
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