Nacht der Hexen
vorbei war. Eine weitere Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Schritte entfernten sich.
Ich sah mich um und stellte fest, dass ich in Gretas und Olivias Schlafzimmer sein musste. Die Schminkkommode war abgeräumt, der Schrank stand offen und war leer mit Ausnahme eines Pullovers, der auf den Boden gefallen und vergessen worden war. Es sah aus, als wären die beiden Hexen in aller Eile gegangen. Waren sie geflohen, als ihnen aufging, dass Nast ihre Gründe dafür erraten hatte, den Jungen zu töten? Oder hatte irgendetwas anderes sie verscheucht?
Ich kehrte in den Flur zurück und lehnte die Tür wieder an, so wie sie zuvor gewesen war. Als ich mich umdrehte, hörte ich ein Klicken, und die Flurbeleuchtung ging an.
Ich wollte losrennen, aber jemand packte mich, und eine Hand legte sich mir über den Mund. Dann ein angewiderter Ausruf, und ich wurde weggestoßen.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte Sandford. »Wo ist –«
»Was ist passiert? Was hat Savannah angestellt?«
Sandford schnaubte nur. Er wandte dem Zimmer, das er gerade durchsucht hatte, den Rücken zu und ging zur nächsten geschlossenen Tür hinüber.
»Hey«, sagte ich, während ich hinter ihm hertrabte, »sagen Sie mir, was hier los ist. Ich kann helfen.«
»Ich brauche keine Hilfe von einer Hexe. Gehen Sie mir einfach aus dem Weg.«
Um dem etwas Nachdruck zu verleihen, schnalzte er mit den Fingern, und ich flog gegen die nächste Wand. Als seine Finger sich um die Klinke legten, sprach ich eine Schließformel.
»Entweder ich arbeite mit Ihnen oder gegen Sie«, sagte ich, während ich mich aufrappelte. »Welches von –«
Die Tür flog auf. Eine Sekunde lang glaubte ich, er hätte den Schließzauber gebrochen. Dann erschien ein Mann in der Tür, der offenbar gerade die Treppe vom Dachboden heruntergekommen war.
»Anton«, rief Sandford. »Alles in Ordnung mit Ihnen also. Gut.«
Anton musterte Sandford mit leuchtend grünen Augen – ein viel kräftigeres Grün, als ich in Erinnerung hatte.
»Hast du mich gerufen?«, fragte er. Er hatte eine auffallend schöne Stimme, einen melodischen Tenor, der im ganzen Flur nachzuhallen schien.
Sandford runzelte die Stirn, als finde er die Stimme oder die Ausdrucksweise verwirrend, und schüttelte heftig den Kopf. »Ich nehme mal an, Sie haben das Mädchen auch nicht gefunden, stimmt’s? Kommen Sie, wir gehen wieder runter.«
»Ich habe dich etwas gefragt, Magier«, sagte Anton, während er Sandfords Blick festhielt. »Hast du mich gerufen?«
»Nein, aber jetzt kann ich Sie brauchen. Wir werden –«
Anton drehte sich zu mir um. In dem trüben Licht schien seine Haut wie aus sich selbst heraus zu schimmern.
»Hast du mich gerufen, Hexe?«
Als Anton auf mich zutrat, wich ich instinktiv zurück, bis ichmit dem Rücken an der Wand stand. Seine Hand streckte sich aus, als wollte er nach meiner Kehle greifen, aber stattdessen umfasste er mein Kinn und hob mein Gesicht zu sich hoch. Bei der Berührung fuhr ich zusammen. Seine Haut war heiß.
»Hast du mich gerufen?«
Selbst wenn ich gewusst hätte, was ich darauf antworten sollte, es wäre mir unmöglich gewesen; seine Hand hielt meinen Kiefer so fest umschlossen, dass ich nicht sprechen konnte. Der Griff war stahlhart, aber nicht schmerzhaft. Seine Augen forschten in meinen, als könne er die Antwort dort finden.
»Das Mädchen?«, murmelte er. »Ein Irrtum. Ja, ganz offensichtlich ein Irrtum. Verzeihlich, nehme ich an. Dieses Mal.« Und jetzt wusste ich auch, was es war, das Antons Körper in Besitz genommen hatte. Ein Dämon, ein hochrangiger Dämon, die Sorte, die man niemals beschwören sollte – und in aller Regel auch nicht beschwören
konnte
.
Ich senkte den Blick. Der Griff des Dämons um mein Kinn lockerte sich; er strich mir mit dem Zeigefinger über die Wange.
»Kluge Hexe«, murmelte er. »Mach dir keine Sorgen, es war ein Irrtum.«
Hinter ihm formten Sandfords Lippen eine lautlose Beschwörung. Obwohl er kein Geräusch gehört haben konnte, drehte der Dämon sich um, ließ mich los und wandte sich stattdessen an Sandford.
»Was machst du da?«, wollte er wissen.
Sandfords Lippen bewegten sich immer noch, aber er wich zurück, als der Dämon näher kam.
»Was glaubst du, wer ich bin?«, donnerte der Dämon, das Gesicht nur noch wenige Zentimeter von Sandfords entfernt.
»Du wagst es, mich zurückschicken zu wollen? Mit einer Formel, mit der du irgendeinen wimmernden Geist bannen könntest?«
Sandfords Stimme hob sich;
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