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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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Wahrheit zu finden …»
    «Haben Sie das nicht getan, Katharina? Welchen Zweck hatte denn die Sitzung gestern Abend?» Laura beobachtete jede Regung der Therapeutin.
    Katharina stöhnte leise, streckte langsam ihre Beine aus.
    «Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe … mich von meinem Zorn leiten lassen …»
    Die gewählte Ausdrucksweise der Therapeutin ging Laura auf die Nerven.
    «Können Sie nicht einfach sagen, dass Sie wütend waren. Sie sind schon lange wütend, nicht wahr?»
    Katharinas Augen verengten sich.
    «Ich glaube nicht, dass ich Ihnen darüber Rechenschaft schuldig bin!»
    «In gewisser Weise schon! Bitte verwechseln Sie mich nicht mit einem Ihrer Klienten. Außerdem kann ich sehr gut verstehen, dass Sie wütend sind. Ihre Arbeit wird in dieser Gruppe ad absurdum geführt!»
    «Ja», wisperte Katharina. «Das ist vermutlich der richtige Ausdruck dafür … ad absurdum.»
    «Gut. Gehen wir die Dinge in der üblichen Reihenfolge durch! Was haben Sie nach der Sitzung gestern Abend gemacht?»
    «Ich saß noch eine Weile auf der Mauer, gleich hier, und habe nachgedacht. Es war eine sehr dunkle Nacht … und die Stachelschweine …» Katharinas Stimme war kraftlos.
    «Was war mit den Stachelschweinen?»
    «Sie weinten … Ich habe so etwas noch nie gehört!»
    «Wie lange saßen Sie hier?»
    «Ich weiß es nicht.»
    «Sind Sie anschließend sofort in Ihr Zimmer gegangen?»
    «Ja. Ich habe mich angezogen aufs Bett gelegt und mir die Ohren verstopft, weil diese entsetzlichen Traktoren mir Angst machten und ich die Stachelschweine nicht mehr hören wollte.»
    «Seltsam», sagte Laura.
    «Was?» Katharina fuhr auf.
    «Wir müssen sie knapp verfehlt haben. Wir sind gegen zwei Uhr nachts zurückgekommen. Ich habe keine Stachelschweine gehört. Nur Rosas Schreie und die Traktoren.»
    Katharina wiegte sich hin und her, begann leise zu summen.
    Guerrini warf Laura einen irritierten Blick zu.
    «Als Sie auf der Mauer saßen, Katharina, haben Sie da jemanden gesehen? Einen Menschen, der das Kloster verließ?»
    Das Summen verebbte.
    «Rolf ging sofort nach der Sitzung. Er stürzte noch zwei Gläser Rotwein runter … dann war er fort.»
    «Glauben Sie, dass jemand ihm folgte? Bitte, Katharina, es ist wirklich sehr wichtig!» Laura beugte sich vor.
    «Zwei waren noch auf der Veranda, als ich hinters Haus ging», antwortete Katharina langsam.
    «Wer?» Laura ärgerte sich über die Ungeduld in ihrer Stimme.
    «Hubertus und Susanne.»
    «Wie lange war Berger da schon weg?»
    Katharina runzelte die Stirn.
    «Es ging ineinander über. Rolf trank den Wein und ging über den Hof. Ich folgte ihm und setzte mich auf die Mauer. Aber von der Mauer konnte ich nicht sehen, wohin er lief. Ich konnte auch nicht sehen, ob jemand ihm folgte.»
    «Wo waren die anderen? Britta Wieland, Monika Raab und Rosa Perl?»
    «Ich weiß es nicht. Ich habe nicht darauf geachtet. Warten Sie … Britta und Monika haben noch eine Weile am Brunnen gesessen. Monika rauchte eine Zigarette. Ich kann mich an den glühenden Punkt erinnern. Aber Rosa … sie verschwand nach der Sitzung auf die Toilette. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen.»
    «Es waren also alle noch irgendwohin unterwegs. Niemand zog sich sofort zurück?»
    Katharina faltete ihre Hände und schüttelte den Kopf.
    «Dazu waren wohl alle zu aufgewühlt. Ich selbst ja  auch … hätte mich nie einfach ins Bett legen können. Das musste langsam ausklingen, ins Gleichgewicht kommen.» Katharina sprach ebenfalls Englisch.
    «Interessantes Gleichgewicht!», warf Guerrini bitter ein.
    Die Therapeutin lächelte leise und sah ihn mit ihren klaren durchdringenden Augen an.
    «Es mag verwirrend für Sie klingen, Commissario. Aber manchmal wird im Leben eine andere Art von Gleichgewicht hergestellt, als mit unserem Verstand vereinbar ist. Es gab einen deutschen Dichter, der dies sehr schön ausgedrückt hat. Ich kann ihn nicht wörtlich wiedergeben, nur so ungefähr. Aber der Sinn seiner Worte ist: Ein höheres Bewußtsein verwirft den Begriff der Schuldlosigkeit … Für dieses Bewußtsein gibt es keine unschuldigen Opfer, keinen sinnlosen Tod. In allem steckt allertiefster Sinn, und es ist deshalb nicht weniger tragisch!»
    Laura bückte sich, hob einen runden Stein auf und legte ihn in ihre Handfläche.
    «Wer war dieser Dichter?», fragte sie.
    «Christian Morgenstern. Und er sagte auch, dass ein Mensch nicht schon deshalb unschuldig genannt werden darf, weil er einem Mord
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