Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
oder einer Katastrophe zum Opfer fällt.»
«Und deshalb sprachen Sie von Gleichgewicht?» Laura rollte den Stein in ihrer Hand hin und her.
«Nein. Ich meinte nicht den Tod von Rolf Berger. Ich meinte das Gleichgewicht in jedem Einzelnen von uns. Und … Sie werden mich vielleicht verrückt oder merkwürdig finden. Für mich ist der Tod nicht so erschreckend. Er hat häufig seine Richtigkeit, auch wenn wir es nicht erkennen.»
Laura stieß ein trockenes Lachen aus.
«Richtigkeit oder nicht! Wir müssen einen Mörder oder eine Mörderin finden. Es ist nun mal mit dem Gesetz nicht vereinbar, wenn manche Menschen ein Gleichgewicht herstellen, indem sie jemanden umbringen!»
«Ja, das ist so», murmelte Katharina kaum hörbar. «Anders könnten wir Menschen vermutlich nicht zusammenleben. Aber wie Sie wissen, gibt es genügend Ausnahmen. Töten ist nicht generell verboten. Manchmal wird es sogar offiziell erlaubt!»
«Ja, leider», erwiderte Guerrini. «Aber das hat nichts mit unserem Fall zu tun. Es gibt zwar tausend Kriege auf dieser Welt. Aber das hier ist keiner! Es handelt sich um schlichten Mord!»
«Sind Sie sicher, Commissario?» Katharina lächelte und betrachtete ihre Hände.
Guerrini schüttelte ungeduldig den Kopf.
«Macht es Ihnen eigentlich Spaß, die Dinge in mystischen Nebel zu hüllen? Wollen Sie damit jemanden schützen? Sich selbst vielleicht? Sie hätten Berger ohne Schwierigkeiten folgen können. Ich bin sicher, dass es keinen Zeugen gibt, der Sie auf der Mauer sitzen sah!»
Katharina lächelte noch immer, zupfte einen Grashalm von ihrer Hose, drehte ihn zwischen den Fingern.
«Ich habe keinen Zeugen, Commissario. Sie können mir glauben oder nicht! Aber ich habe auch kein Motiv – außer vielleicht, dass ich Rolf Berger nicht ausstehen konnte, was nicht gerade für meine emotionale Neutralität als Therapeutin spricht.»
«Haben Sie einen Verdacht?» Laura ging neben Katharina in die Hocke. «Ich bitte Sie, Katharina. Sie kennen diese Gruppe ganz genau. Sie müssten Ahnungen haben …»
Katharina neigte den Kopf und musterte Laura von der Seite.
«Es tut mir Leid. Ich habe keine Ahnungen. Wenn Bergers Ehefrau in der Nähe wäre, dann könnte ich die Sache verstehen. Aber so … Rosa hätte niemals die Kraft. Hubertus … warum sollte er. Britta und Monika bestimmt nicht. Und Susanne … ich kenne sie nicht, ich weiß nicht, was in ihr vorgeht … aber ich habe den Eindruck, dass sie sehr weit von alldem entfernt ist.»
«Gut!», sagte Guerrini. «Dann nehmen wir uns diese Dame vor. Ich fange immer bei denen an, die am wenigsten verdächtig erscheinen! Wissen Sie, wo Susanne Fischer gerade ist?»
«Nein!», sagte Katharina. «Aber meistens sitzt sie vor dem verfallenen Bauernhaus, gegenüber vom Friedhof der Mönche.»
«Wie romantisch!» Guerrinis Stimme klang hart.
«Seien Sie nicht ungerecht, Commissario!» Auch in Katharinas Stimme lag Schärfe.
N iemand saß vor dem verfallenen Bauernhaus. Laura und Guerrini umrundeten das Gemäuer, gingen weiter zum Friedhof, kehrten zum Kloster zurück.
«Ich habe das Gefühl, dass keiner aus dieser Gruppe hier in der Wirklichkeit lebt!», sagte Laura plötzlich. «Als hätten sie sich ausgeklinkt.»
Guerrini lachte auf.
«Nicht unbedingt ein Fehler, oder? Wahrscheinlich haben sie alle jede Menge Schwierigkeiten, und das hier ist doch die ideale Insel.»
«Jajaja!», sagte Laura. Dachte, dass sie sich selbst ausgeklinkt hatte. Ein bisschen jedenfalls. Viel zu wenig. Bei all dem Hunger auf Leben. Und auf einmal waren alle wieder da, als hätte jemand Simsalabim gesagt – Monika auf dem Brunnen, eine Zigarette zwischen den Fingern, Hubertus und Rosa auf der Veranda, Britta in der Telefonzelle –, nur Susanne fehlte.
«Wir müssen es ihr sagen!»
«Was? Wem?», fragte Guerrini.
«Wir müssen Rosa Perl sagen, dass Berger tot ist!»
«Nein!» Guerrini hob entsetzt seine Hände. «Ich habe keinen Bedarf an Nervenzusammenbrüchen! Das kann die Therapeutin machen. Dazu ist sie da! Ich will mit dieser Susanne Fischer sprechen!»
«Siehst du sie irgendwo?»
«Nein!»
«Dann nehmen wir die junge Dame auf dem Brunnen. Einverstanden?»
Guerrini nickte. Langsam näherten sie sich dem Brunnen. Monika Raab saß mit dem Rücken zu ihnen, rauchte heftig. Als Laura sich räusperte, fuhr sie zusammen und drehte sich erschrocken um.
«Ach, Sie sind’s!»
«Ja. Wir würden uns gern mit Ihnen unterhalten», sagte Laura.
«Mit mir?
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