Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
antwortete Laura. «Da fühle ich mich richtig bedeutend!»
Die Sekretärin lachte.
«Ich bewundere, wie gelassen du diese Herren nimmst! Die tun immer so, als hinge die Welt von zehn Minuten ab! Na ja, Baumann nicht. Der ist auch erst vor drei Minuten gekommen! Hat dem Chef überhaupt nicht gefallen!»
Laura strich ihr Haar zurück, schlug den Kragen ihrer Lederjacke hoch und zog den Bund ihres Jeansrocks zurecht.
«So kannst du reingehen!», kicherte die Sekretärin. «Gut, dass du heute mal keine Hosen anhast. Becker wird garantiert rot, wenn er deine Beine sieht!»
«Na hoffentlich! Wo muss ich zuerst hin?»
«Einfach nur zum Chef. Da sind die andern nämlich auch schon!»
Laura zwinkerte der Sekretärin zu. Es war ein Glück, diese Frau im Vorzimmer zu haben. Sie hatte Humor, war kompetent und von keinem Hierarchietheater beeindruckbar. Nicht unbedingt eine deutsche Eigenschaft, dachte Laura – aber die junge Generation war in diesem Punkt offensichtlich anders. Becker gehörte zur alten.
«Zweite Tür rechts, Frau Kommissarin!»
Laura lachte.
«Danke für den Hinweis!»
Vor Beckers Tür hielt sie einen Augenblick inne, überlegte kurz, wie sie eine Rüge parieren würde. Es war dieses ewige Dilemma einer berufstätigen Mutter. Sie kam häufig zu spät. Der Arbeit hatte es noch nie geschadet, nur ihrem Verhältnis zum Chef. Eine Weile hatte er sie sogar vom Beamten an der Eingangspforte überwachen lassen – mit genauen Zeiten, wann sie das Präsidium betreten hatte und wann sie es verließ. Genau in den Monaten nach ihrer Scheidung, als die Kinder sie besonders brauchten. Eines Tages hatte er ihr diesen Report auf den Tisch geknallt und gefragt, ob Sie für sich persönlich die Arbeitszeit des Jahres 2050 eingeführt hätte.
Sie hatte sich damals in die Defensive drängen lassen – ihm alle Überstunden und Sondereinsätze vorgehalten. War verletzbar gewesen, hatte sogar Angst um ihren Job gehabt, weil alles an ihr hing – die Zukunft der Kinder, das Familieneinkommen. Ihr Exmann Ronald schaffte es kaum, sich selbst über Wasser zu halten. Freiberuflicher Journalist mit Arbeitsblockaden, die er vermutlich bis an sein Lebensende haben würde.
Laura zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen, um ihre Nackenmuskeln zu lockern. Heute ließe sie Becker keine süffisanten oder verletzenden Bemerkungen durchgehen. Diese Zeiten waren vorbei! Entschlossen klopfte sie an und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Die Männer saßen um Beckers Schreibtisch herum und tranken Kaffee. Beinahe gleichzeitig wandten sie ihre Köpfe.
«Ah, Laura. Wie schön, dass wir auch Sie endlich begrüßen können!» Beckers Gesicht war ausdruckslos.
Laura nickte kühl.
Der Pathologe, Dr. Reiss, sprang auf und rückte einen vierten Stuhl heran.
«Danke!», sagte Laura, setzte sich und schlug die Beine übereinander.
Beckers Blick schweifte kurz im Zimmer herum, streifte zweimal ihre Beine und blieb endlich an einer leeren Kaffeetasse auf dem Schreibtisch hängen. Er war tatsächlich ein bisschen rot geworden. Aber es fiel nicht besonders auf, da er ohnehin unter hohem Blutdruck litt und ständig ein etwas gerötetes Gesicht mit sich herumtrug. Sein graues Haar war sorgfältig geschnitten und fiel in einer leichten Welle über seine rechte Schläfe. Auch sein Anzug war tadellos, mittelgrau, blaues Hemd und graue Krawatte.
Merkwürdig, dass er trotz seiner Anstrengungen absolut bedeutungslos aussieht, dachte Laura. Sie warf ihrem Assistenten Peter Baumann einen prüfenden Blick zu. Er zog die Augenbrauen nach oben und seinen rechten Mundwinkel nach unten.
«Auch einen Kaffee?», fragte er.
«Ja, bitte.»
Baumann beugte sich vor und griff nach der Kaffeekanne. Laura verkniff sich ein Lächeln, denn er sah aus, als sei er gerade aus dem Bett gekrochen. Sein kurzes blondes Haar war zerzaust, das lila Hemd ein wenig angeknautscht und über seine linke Wange zog sich der Faltenabdruck seines Kopfkissens. Der Kontrast zu Becker hätte nicht größer sein können.
«Also», sagte Laura. «Worum geht’s?» Und wieder musste sie lächeln, weil sie die Redewendung ihrer Tochter Sofia übernommen hatte.
Becker räusperte sich.
«Wie gesagt – schön, dass Sie endlich da sind. Dr. Reiss hat nämlich kaum Zeit. Er war so freundlich, das Ergebnis der Obduktion zu erläutern, da er ohnehin im Haus zu tun hat. Es geht um die Tote aus der Isar.»
Laura verschluckte das nächste «Also», das ihr beinahe wieder
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