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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Guerrini nickte, obwohl ihm ein leichter Schauder über den Rücken lief. Wenn Carolin Wolf in der Nacht solche Geräusche gehört hatte, war sie vermutlich vor Angst gestorben.
    «Ja», murmelte er, «so klingen Stachelschweine. Ein bisschen wie Gespenster, nicht wahr? Du machst das sehr gut, Giuseppe!»
    Der Junge duckte sich ein wenig, als wäre er verlegen.
    «Ich war heute unten am Bach spazieren – du kennst doch den Bach in der Nähe von eurem Hof.» Guerrini machte eine Pause, denn die Hand des Jungen glitt wieder übers Gesicht.
    «Ich hab viele Borsten gefunden. Da müssen jede Menge Stachelschweine unterwegs sein. Wahrscheinlich mögen sie den feuchten Sand.» Er schaute kurz zu Giuseppe hinüber. Nur die Augen leuchteten dunkel zwischen zwei Fingern.
    Jetzt sind wir wieder da, wo wir am Anfang waren, dachte Guerrini. Es kann Stunden dauern und zu nichts führen. Er zupfte den Grashalm aus der Sohle seines Schuhs und betrachtete ihn, als hätte er noch nie einen dürren Grashalm gesehen. Was jetzt? Vielleicht ganz direkt?
    «Ich hab da ein Mädchen gefunden …», Giuseppe zog sich zusammen wie eine Schnecke, «… sie hat geschlafen, zwischen Wurzeln. Ein schönes Mädchen. Vielleicht ist sie zum Bach gekommen, um die Stachelschweine zu sehen, und dabei ist sie eingeschlafen …» Hatte er genickt?
    «Hast du das Mädchen auch gesehen, Giuseppe?»
    Der Junge barg jetzt den Kopf wieder in den Armen, seine Schultern zuckten. Und dann, Guerrini neigte sich zu ihm, sprach Giuseppe zum ersten Mal.
    «Schläft nicht …», murmelte er so leise, dass Guerrini ihn kaum verstehen konnte.
    «Was meinst du?»
    Da erhob sich der Junge plötzlich, schlug eine Faust gegen die Wand und schrie: «Schläft nicht! Ist tot! Kalt!»
    Guerrini wich kaum merklich zurück. Giuseppe blieb jetzt stehen. Er war groß, hatte breite Schultern und kräftige Arme. Sein dunkles Haar fiel ihm bis in den Nacken. Aber noch immer konnte Guerrini sein Gesicht nicht sehen, denn Giuseppe presste es gegen die Wand, als wollte er die Mauer mit seinen Wangenknochen eindrücken.
    «Hast du gesehen, wer es war?», fragte der Commissario leise.
    Giuseppe schüttelte heftig den Kopf, stieß sich dabei Nase und Stirn an der Mauer, achtete nicht darauf. Unvermutet drehte er sich um, halb geduckt wie ein lauerndes Tier.
    «Da sind fremde Frauen. Sie laufen überall herum. Mit den Armen in der Luft. Sie heben Federn auf, Stachelschweinborsten. Tragen sie zur Abbadia, zu den toten Mönchen. Mama hat gesagt, dass es Hexen sind! Hexen!»
    «Wirklich?» Guerrini betrachtete aufmerksam das Gesicht des Jungen. Es war ein hübsches Gesicht, ein wenig grob vielleicht, aber trotzdem gut geschnitten. Giuseppe wäre ein gut aussehender junger Mann von Mitte zwanzig, wenn nicht der rechte Mundwinkel ein wenig hängen würde und genauso das rechte Auge. Irgendetwas war in diesem Gesicht durcheinander geraten, als hätte jemand versucht, aus zwei Gesichtern eines zu machen.
    «Hast du gesehen, wer’s war?», fragte Guerrini wieder.
    Da schüttelte der Junge den Kopf, immer schneller und schneller, bis sein langes Haar flog. Als er endlich damit aufhörte, ließ er sich auf den Boden fallen, flach, mit dem Gesicht nach unten.
    Guerrini wartete ein wenig. «Ich brauche deine Hilfe, Giuseppe», sagte er dann leise. «Niemand darf einen anderen Menschen töten, weißt du. Ich möchte den Mörder finden. Du hast das Mädchen gesehen, und es wäre ja möglich, dass du noch etwas anderes gesehen hast, nicht wahr? Wenn dir was einfällt, dann sag es mir einfach. Es passiert dir nichts. Du kannst dich auf mich verlassen.»
    Aber Giuseppe antwortete nicht. Er konnte den Commissario nicht hören, denn die andere Welt hatte ihn wieder aufgenommen. Diese seltsame Welt voller Gestalten, die ihn belauschten und beobachteten, wo immer er sich versteckte, was immer er tat.
    Guerrini blieb noch eine Weile sitzen, dann stand er langsam auf und ging zur Tür.
    «Gute Nacht, Giuseppe», sagte er und schob behutsam die angelehnte Tür auf, zögerte und fügte hinzu: «Ich lass dich nicht allein! Ich komme wieder.»

A ls Laura Gottberg am nächsten Morgen das Vorzimmer ihres Dezernats betrat, hob die Sekretärin den Kopf und verzog das Gesicht.
    «Alle warten schon! Der Chef, Baumann und der Pathologe! Es geht wieder mal rund!»
    Laura warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie war elfeinhalb Minuten zu spät, weil sie Sofia in die Schule gefahren hatte.
    «Na, ist doch wunderbar!»,

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