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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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denken.
    «Doktor Granelli hat seine Pathologie in einem Seitenflügel des Spedale», erklärte Guerrini. «Erschrecken Sie nicht, wenn Sie in sein Kabinett kommen. Es ist voller Horrorgestalten in Gläsern.»
    Sie betraten den Haupteingang des Spedale, das eher wie ein riesiges Museum wirkte. Eine der gewaltigen Türen stand offen, und Laura erhaschte einen Blick in den ehemaligen Krankensaal auf der rechten Seite. Sie hatte es noch in Betrieb erlebt: Die Betten der Patienten waren damals nur durch Wandschirme voneinander getrennt gewesen, der Raum überdimensional, mindestens fünf Meter hoch, und sie hatte sich gefragt, wie man sich dort fühlen mochte, wenn man krank war. Vermutlich wie ein Zwerg, der von der Geschichte des Landes aufgesogen wurde. Mit einem leichten Schauder wandte sie sich ab und begegnete Guerrinis Augen.
    «Ich bin hier geboren worden», sagte er leise. «Direkt aus den Mauern dieser Stadt.»
    «Mit gedrehten Marmorknochen, nicht wahr?»
    Er lachte auf.
    «Hoffentlich mit geraden!»
    Sie folgte ihm die breite Marmortreppe hinauf, durch endlose hohe Gänge, über schmale Stufen und durch  kleine Flure und hatte bald das Gefühl, dass sie niemals aus diesem Labyrinth herausfinden würden. Endlich klopfte Guerrini an einer schweren Holztür und öffnete sie, nachdem von drinnen ein dumpfes, fernes «Entrare» zu hören war. Ein strenger Geruch nach Formaldehyd schlug ihnen entgegen. Der große Raum war so voll gestellt mit Vitrinen und Regalen, dass sie hintereinander gehen mussten. Laura starrte auf die unzähligen großen Glasbehälter, in denen tote Embryos mit riesigen Köpfen schwammen, übergroße Herzen, geschwollene Lebern, schwarze Lungenflügel, Tumore aller Arten und Größe.
    Guerrini drehte sich zu ihr um und sah sie besorgt an.
    «Ich habe Sie gewarnt, Laura. Es ist wirklich ein Horrorkabinett!»
    «Gehen Sie weiter!», flüsterte Laura. «Nicht stehen bleiben.»
    Hinter den Vitrinen öffnete sich der Raum in einen weiten Erker, vor dessen Fenstern ein riesiger Schreibtisch stand. Der Mensch hinter dem Tisch hob seinen runden kahlen Schädel und blickte ihnen entgegen. Die Brille hatte er auf seine spitze Nase geschoben.
    «Ah, Guerrini!», rief er fröhlich. «Und das ist sicher die Commissaria aus Deutschland!» Er streckte Laura beide Hände entgegen, dünne, blau geäderte Greisenhände, die unerwartet warm waren, als sie nach ihnen griff.
    «Setzt euch, setzt euch!», rief er geschäftig. «Ich habe nicht viel Zeit. Meine Vorlesung beginnt um zwei Uhr, und ich muss noch was essen. Meine Frau wartet auf mich.» Er schob einen unordentlichen Papierstapel hin und her, betastete mit einer Hand seinen kahlen Schädel, murmelte etwas Unverständliches, zog endlich ein Blatt hervor, las es kurz durch und richtete seine tiefblauen Augen auf Laura.
    «Euer Opfer ist an einer massiven Gehirnblutung gestorben. Die Kopfverletzung war äußerlich nicht so schlimm. In einem günstigeren Fall hätte die Frau mit einer Gehirnerschütterung davonkommen können. Aber es gibt eben nicht nur günstige Fälle auf dieser Welt – niemand weiß warum. Ich kann nicht genau sagen, ob sie auf einen Stein gestürzt ist oder ob jemand versucht hat, sie zu erschlagen. Sie könnte noch ein paar Minuten bei Bewusstsein gewesen sein, mit Sicherheit hat sie noch mindestens eine oder zwei Stunden gelebt, ehe der Exitus eingetreten ist. Aber sie hat sich nicht selbst in diese Höhle zwischen den Wurzeln geschleppt. Es sieht so aus, als hätte jemand sie an den Beinen gezogen, denn im Gesicht, an Brust und Schultern habe ich minimale Abschürfungen festgestellt, sie hatte Sand in der Nase, zwischen den Zähnen und in einem Ohr.» Dr.   Granelli legte das Blatt Papier auf den Schreibtisch und seufzte.
    «Wurde sie sexuell misshandelt?», fragte Guerrini.
    «Nein.» Der alte Mann schüttelte langsam den Kopf. «Hätte man sie nicht in dieser Höhle gefunden, dann würde ich diesen Tod für einen Unfall halten. Der Täter hat einen großen Fehler gemacht. Wenn er sie einfach liegen gelassen hätte, wäre niemals ein Mordverdacht aufgekommen.»
    «Bis auf Ranas Spuren», murmelte Guerrini.
    «Ja, bis auf Ranas Spuren. Aber ich habe mich kurz am Tatort umgesehen!» Der Dottore lächelte listig. «Ist dir aufgefallen, Guerrini, dass die Stiefelspuren direkt zur Höhle und wieder zurück verlaufen? Wenn du mich fragst, dann hat Rana die junge Frau in der Höhle gefunden, weil er nachts aus irgendwelchen Gründen

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