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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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folge, dann würde ich sagen, dass er es nicht war. Ich kann mir vorstellen, dass er sie gefunden hat, dass er sie auch berührt hat, weil er vermutlich noch nie eine Frau angefasst hatte, außer seiner Mutter vielleicht. Aber ich habe nicht mehr als eine vage Vorstellung und den Eindruck, den ich bei meinem Gespräch mit ihm bekam. Es war …», er warf Laura einen kurzen Blick zu, «… ein sehr merkwürdiges Gespräch.»
    «Wieso merkwürdig?»
    Guerrini antwortete erst, als er einen Lastwagen überholt hatte, der schwarze Rußwolken aus dem Auspuff stieß.
    «Wir haben zusammen gesungen …» Er lächelte leicht.
    «Gesungen?»
    «Ja, gesungen. Laut. Der Polizist, der vor der Zelle auf mich wartete, hat mich hinterher angesehen, als hielte er mich auch für verrückt.»
    Laura lachte leise.
    «Und warum haben Sie gesungen?»
    «Es war die einzige Art, an ihn heranzukommen.»
    Laura nickte.
    «Hat er was gesagt? Nach dem Singen?»
    «Nein, eigentlich nicht. Er sagt nicht viel. Nur dass das Mädchen tot und kalt war. Das schien ihn sehr zu erschüttern.»
    Monteriggioni, dachte Laura und schaute begeistert zu der kleinen mittelalterlichen Siedlung hinüber, die auf der rechten Seite der Schnellstraße auftauchte. Wie vor Hunderten von Jahren verbargen sich die Häuser hinter einer hohen Stadtmauer.
    «Schön anzusehen, nicht wahr!», bemerkte Guerrini. «Aber nur aus der Ferne. Ist besetzt von Touristen, da hilft auch die Mauer nichts.»
    Er ist nett, dachte Laura. Nett und ein bisschen seltsam. Wieder betrachtete sie ihn verstohlen von der Seite. Seine Nase war sehr gerade, wie die eines Römers, seine Lippen voll, der Mund kein bisschen verkniffen.
    Ich sollte mich nicht für seine Lippen interessieren, dachte Laura, sondern für den Fall. Und sie gab diesem Land die Schuld daran, dass ihre Gedanken ständig abschweiften.
    «Erzählen Sie mir von dieser deutschen Gruppe, Angelo.» Laura öffnete das Seitenfenster und hielt ihr Gesicht in den warmen Fahrtwind. Aber es fiel ihr noch immer schwer, sich zu konzentrieren, denn nun lag Siena vor ihr auf einem Hügel, und ihr Herz klopfte ein bisschen schneller.
    «Jetzt sind es nur noch sieben Personen. Fünf Frauen und zwei Männer. Die Gruppe wird von einer Therapeutin geleitet. Soweit ich verstanden habe, handelt es sich um eine Selbsterfahrungsgruppe. Die trifft man immer wieder hier in der Toskana.»
    «Ich weiß», murmelte Laura. «Die Zeitungen bei uns sind voll von Angeboten. Es reicht von Trommeln über Meditation, Töpfern, Malen bis zu Psychogruppen aller Art.»
    «Dann wissen Sie ja ungefähr Bescheid. Diese Gruppe hat sich einen ganz besonderen Platz ausgesucht. Ein aufgelassenes Kloster auf einem einsamen Hügel. Die Einheimischen halten den Ort für – na ja – verwünscht. Es gibt Leute, die behaupten, sie hätten nachts betende Mönche gesehen, obwohl das Kloster schon seit zweihundert Jahren verwaist ist.»
    «Glauben Sie daran?», fragte Laura.
    Guerrini bremste an einer roten Ampel und wandte sich ihr zu. Aus seinem offenen Hemdkragen lugten ein paar schwarze Härchen. Laura schaute weg.
    «Nein», sagte er ruhig. «Nein, ich glaube nicht daran. Aber es ist trotzdem ein ungewöhnlicher Ort. Sie werden es selbst sehen.»
    «Gibt es sonst noch jemanden in diesem Kloster?»
    «Eine Menge Katzen und drei Französinnen, die eine separate Wohnung gemietet haben. Ich habe bisher nur kurz mit ihnen gesprochen. Die Deutschen sind ihnen unheimlich. Eine von ihnen hat gesagt, dass sie sich nicht über den Mordfall wundere. Sie hätten häufig Schreie gehört und schon überlegt, die Polizei zu informieren.»
    «In Selbsterfahrungsgruppen wird hin und wieder geschrien», antwortete Laura. «Für Außenstehende kann das erschreckend sein.»
    «Haben Sie mal eine mitgemacht?»
    «Ja, vor ein paar Jahren.»
    «Oh!», machte Guerrini und gab Gas. «Dann kennen Sie sich ja aus.»
    «Ein bisschen.»
    Sie hatten inzwischen die schmalen, dunklen Gassen der Altstadt erreicht. Es ging steil bergan, über grobes Kopfsteinpflaster, die hohen Häuser schienen über ihren Köpfen zusammenzuwachsen, sperrten die Sonne aus.
    «Wie geht es den Leuten, ich meine der Gruppe?», fragte Laura, während Guerrini den Wagen vor dem Spedale di Santa Maria della Scala, einem ehemaligen Krankenhaus gegenüber dem Dom von Siena, einparkte. Diese Gebäude wirkten, als wären sie aus dem toskanischen Boden gewachsen, die hellen Säulen des Doms ließen Laura an gedrechselte Knochen

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