Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
da war. Auch wenn Katharina Sternheim beim Frühstück ihrer gedacht hatte – der Tagesablauf blieb wie immer.
«Gut, ich versuche es.» Rosa nickte. «Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt, Malerin, gelegentlich auch Bildhauerin. Verheiratet, eine Tochter. Sie ist achtzehn und will gerade ausziehen. Seit zwei Jahren leide ich an Brustkrebs. Die Prognose sah erst gut aus, aber vor drei Monaten musste ich noch einmal operiert werden. Diesmal wurde meine linke Brust entfernt. Ob sich bereits Metastasen gebildet haben, weiß ich noch nicht. Ich habe deshalb mit meinem Mann und meiner Tochter eine Tour durch die Weingüter der Toskana gemacht, nebenbei ein bisschen gemalt, und schließlich hat mich meine Familie hier abgesetzt, denn ich hatte dieses Seminar gleich nach meiner Operation gebucht.» Rosa machte eine Pause und öffnete wieder kurz die Augen, warf Laura einen prüfenden Blick zu.
«Warum fragen Sie nicht, warum? Alle haben mich gefragt, warum? Alle Freunde, mein Mann, meine Tochter …»
«Ich halte es für ziemlich normal, wenn man in einer schwierigen Situation eine Selbsterfahrungsgruppe mitmachen will», erwiderte Laura. «Aber wenn Sie darauf bestehen, dann frage ich Sie! Warum?»
Rosa redete mit geschlossenen Augen weiter.
«Ich wollte natürlich mehr über mich wissen, meine Krankheit auch von dieser Seite her bekämpfen, außerdem habe ich in München Einzelsitzungen bei Katharina Sternheim. Aber es gibt noch einen Grund.» Rosa atmete tief ein. «Ich wollte Rolf Berger treffen. Außerhalb meiner Familie, außerhalb der normalen Umgebung.»
Laura sagte nichts. Sie hatte nicht erwartet, dass Rosa Perl so aufrichtig sein würde. Aber vielleicht hing das mit der Krankheit zusammen. Wer den Tod spürte, hatte nichts mehr zu verlieren. Wieder lächelte Rosa und schaute ganz ruhig in Lauras Augen.
«Wir haben keine sexuelle Beziehung, wenn Sie das vermuten. Ich bekomme von Rolf Berger nur das, was ich im Augenblick besonders nötig brauche: Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit und Trost. Aber ich kann mir vorstellen, dass eines Tages auch eine sexuelle Beziehung daraus wird …» Sie schien in Lauras Augen zu lesen, ihre Zweifel, ihr Erstaunen, und lächelte erneut, ein wenig bitter diesmal.
«Wenn man so krank ist wie ich, dann will man noch einmal das Leben spüren. Vielleicht wird man rücksichtslos … ich jedenfalls habe ganz neue Züge an mir entdeckt. Es ist mir egal, was die anderen von mir denken. Ich weiß, dass ich nur noch wenig Zeit habe, und ich will sie ausschöpfen!»
«Aber …», setzte Laura an, verstummte jedoch sofort. Sie hatte auf Bergers Beziehung zu Carolin Wolf hinweisen wollen, auf seine anderen Affären. Doch wieder schien Rosa genau zu wissen, was Laura dachte.
«Sie mögen ihn nicht, hab ich Recht? Ich glaube, dass niemand ihn besonders mag … nicht einmal Carolin, obwohl sie ihn für ihre Zwecke benutzt hat. Katharina Sternheim mag ihn auch nicht, Britta und Susanne hassen ihn, jedenfalls habe ich den Eindruck. Die Einzigen, die sich einigermaßen neutral verhalten, sind Hubertus und Monika. Er ist eben ein Mensch, der die anderen sehr stark polarisiert. Vor allem, wenn man ihn nicht genau kennt!»
Laura brauchte ein paar Minuten, um all diese Informationen halbwegs einzuordnen. Ihr Kopf arbeitete noch immer zu langsam.
«Wie kommen Sie darauf, dass Carolin Wolf Berger für ihre Zwecke missbrauchte?», fragte sie schließlich.
«Weil sie ein geiles kleines Luder war!», erwiderte Rosa bitter. «Das ist keine besonders feine Ausdrucksweise, aber ich finde keine besseren Worte. Sie tat mir Leid. Ich wollte mit ihr reden, ihr sagen, dass sie auf dem falschen Weg ist … aber ich bin nicht mehr dazu gekommen.» Rosa verschränkte die Finger, presste sie aneinander.
«Könnte es sein, dass Sie auf Carolin Wolf eifersüchtig waren?» Laura kam sich unbeholfen vor, und Rosa gab ihr Recht, indem sie kurz auflachte.
«Natürlich war ich eifersüchtig. Carolin war dreißig Jahre jünger als ich, gesund, blühend, schön, sexy … alles, was Sie wollen! Gemessen an ihr bin ich ein Wrack, einbrüstig, ausgemergelt. Das Einzige, das ich gegen sie ins Feld führen konnte, war meine Krankheit, meine Lebenserfahrung, und dass ich Künstlerin bin. Rolf Berger betet Künstler an.»
«Haben Sie mit ihm über seine Beziehung zu Carolin Wolf gesprochen?»
Rosa senkte den Kopf.
«Natürlich. Vor allem er hat darüber gesprochen. Er hat mir ständig erklärt, dass diese
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