Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
antworten konnte, erschien Monika Raab an der Hausecke und winkte ihnen zu.
«Kommt! Wir wollen die Katze begraben!»
Rosa stand schnell auf, schwankte wieder, fing sich aber und wich Lauras stützender Hand aus. Langsam tat sie zwei tastende Schritte, dann drehte sie sich entschieden um.
«Jeder von uns sieht andere Dinge und Qualitäten in den Menschen. Ist es nicht so? Mir ist egal, was die anderen in Rolf oder mir sehen. Ich sehe etwas, und das werde ich mir nicht nehmen lassen – nicht von Katharina Sternheim und auch nicht von Ihnen!»
Hoch aufgerichtet schritt sie davon. Laura bewunderte die Würde und Bedingungslosigkeit, mit der sie ihre Sicht der Dinge – eigentlich ihr Leben – verteidigte. Rosa ging ein großes Risiko ein, vertraute einem Menschen, der nach Lauras Erkenntnissen alles andere als vertrauenswürdig war. Und sie schien dafür belohnt zu werden. Oder war das ein klassischer Selbstbetrug, die verzweifelte Suche einer Einsamen nach Nähe?
Langsam folgte sie Rosa, schloss sich im Innenhof des Klosters der kleinen Gruppe an, die bereits auf dem Weg zum Friedhof war. Als sie durch die zerfallene Pforte traten, sah Laura, dass Hubertus Hohenstein die Schachtel mit der kleinen Katze auf dem Sims eines Grabmals abgestellt hatte, beobachtete, wie er sich durch die Brombeerranken zwängte, die Schachtel aufhob und feierlich zu ihnen zurückkehrte. Und wie ein Blitz traf sie die Erkenntnis, dass er tatsächlich ein Mönch oder Priester sein musste, denn niemand sonst hätte dies Ritual so perfekt inszenieren können.
Er ging vor ihnen her, die Schachtel auf Brusthöhe in seinen geöffneten Händen, den Kopf leicht gesenkt. Sie folgten ihm wie ein Trauerzug, und Laura meinte gemurmelte Gebete zu hören, doch es war nur der Wind in den Pinienzweigen. Sie kehrten zum Kloster zurück, vor dessen westlicher Außenmauer die Männer ein Loch gegraben hatten. Wilde Malven wuchsen hier und riesige Disteln. Sie versammelten sich um das Erdloch, Hubertus Hohenstein senkte die Schachtel mit dem Kätzchen hinein, trat einen Schritt zurück und sah zum Himmel hinauf. Dann hob er kurz die Arme, und Laura erwartete, dass er ein Kreuzzeichen machen würde, doch er hielt in der Bewegung inne, ließ die Arme fallen und sagte leise:
«Leb wohl, kleiner Gefährte. Mögest du in der anderen Welt weitertanzen!»
Er nahm eine Schaufel, die am Stamm eines alten Kirschbaums lehnte, warf ein bisschen Erde auf die Schachtel und reichte die Schaufel an Katharina weiter. Und wie bei der Beerdigung eines Menschen streuten sie alle, einer nach dem anderen, eine Hand voll Erde in das Loch. Auch Laura, und sie hatte das Gefühl, als sei dies die symbolische Beerdigung von Carolin Wolf oder gar eine Zeremonie, die an die Sterblichkeit alles Lebens gemahnen sollte. War das alles nicht ein wenig verrückt? Und um sich aus dieser absurden Situation zu retten, dachte Laura an ihren Vater, überlegte, was er wohl sagen würde, wenn er sie hier sähe. Ihr war, als könnte sie sein trockenes Lachen hören: Verdammt sentimentaler Haufen!, würde er sagen.
Aber ihr fiel noch ein weiterer Ausspruch von ihm ein: Wenn du in einer Woche mehr als zweimal mit dem Tod konfrontiert wirst, dann ist es an der Zeit, über das Leben nachzudenken!
Laura schaute wieder auf das Grab der kleinen Katze. Rolf Berger und Hubertus Hohenstein hatten es inzwischen zugeschaufelt, die Frauen legten kleine Blüten darauf, Tränen fielen auf den Erdhügel. Dann nickte Katharina allen zu und wandte sich um. Laura schlüpfte neben ihr zwischen den Disteln hindurch.
«Halten Sie uns jetzt für verrückt?», erkundigte sich die Therapeutin lächelnd.
«Ich weiß nicht», murmelte Laura.
«Es mag Ihnen wie Kinderkram vorkommen. Fast alle haben in ihrer Kindheit ein Haustier begraben, es beweint, als wäre es ein Mensch. Uns Erwachsenen fehlen Rituale, die uns festhalten. Da draußen gibt es nichts, das die Menschen festhalten könnte, deshalb haben wir die kleine Katze beerdigt wie einen Menschen. Ich denke, dass alle hier um sich selbst trauern, sich selbst in diesem kleinen Wesen beweinen und ehren. Wundern Sie sich deshalb nicht. Es … war ein Akt der Zärtlichkeit gegenüber dem Leben. Dieser Ort bringt alte Kräfte zum Vorschein, die wir längst vergessen haben.»
Laura antwortete nicht. Wahrscheinlich hatte Katharina Recht. In diesem Augenblick fühlte sie sich wie ein Mitglied der Gruppe. Als alle den Innenhof des Klosters erreichten, entdeckte
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