Nacht der Versuchung
jeden Klang verloren. Er sah Dr. Hochheuser an, als habe dieser Chinesisch gesprochen, dann schüttelte er den Kopf, setzte sich und legte die Hände zusammen. »Das ist … das ist doch mehr als absurd …«, stotterte er. »Margit war Pommer völlig unbekannt, bis er bei einem Ausflug in der Lüneburger Heide verunglückte und Margit ihn durch den Schäfer zum Arzt bringen ließ. Bloß dadurch wurden wir mit ihm bekannt.«
Dr. Hochheuser nagte an der Unterlippe. Er dachte an die erste Aussage Bernhardts und schwieg.
»Wir müssen uns auf böse Wochen gefaßt machen«, sagte er nach einer Weile des Schweigens. »Vor allem müssen wir starke Herzen haben und sehr, sehr viel Liebe – sonst bricht alles zusammen, was die Familie Blankers für andere so beneidenswert machte.«
Blankers nickte stumm. Er verstand den tiefen Sinn dieser Worte noch nicht ganz. Er grübelte darüber nach, wieso man hatte Margit erpressen können. Und er kam zu der Überzeugung, daß dies unmöglich sei und man wirklich viel Liebe im Herzen haben mußte, um Margit vor solchen dummen Anschuldigungen zu schützen.
*
Als am nächsten Morgen in den Blankers-Werken bekannt wurde, daß ein Unbekannter Fred Pommer erschossen habe, war die erste Reaktion der Direktoren, daß drei der Herren laut sagten:
»Es gibt doch noch Gerechtigkeit!«
»Ich bitte Sie, meine Herren!« unterbrach Dr. Preußig den spontanen Freudenausbruch. »Es handelt sich um einen Mord!«
»Sie sind Jurist, lieber Preußig«, meinte der kaufmännische Direktor. »Sie sehen das vom Paragraphen aus. Aber ich … bei Gott, ich hätte ihn auch erschlagen können. Und damals, als die junge Dame … Himmel noch mal, die junge Dame!«
Der kaufmännische Direktor sah den technischen Direktor erschrocken an. Blitzartig erinnerten auch sie sich an die Situation von damals: Ein hübsches Mädchen, das aus Pommers Zimmer rennt, aufgelöst und deutlich bis zum Äußersten erregt, und das laut ruft: »Ich bringe dich noch einmal um! Ja, ich bringe dich um!«
»Ich muß sofort die Polizei anrufen!« verlangte der kaufmännische Direktor. »Wir … wir kennen den möglichen Täter …«
»Man hat Baurat Bernhardt verhaftet«, sagte Dr. Preußig mit dumpfer Stimme. »Aber das ganz unter uns, meine Herren.«
»Blödsinn! Die junge Dame hat deutlich genug gesagt, daß sie …«
»Bernhardt hat gestanden.«
»Man hat ihn fertiggemacht bei der Polizei. Das kennt man ja. Auf jeden Fall sollte man den damaligen Besuch melden. Im Kontrollbuch des Portiers muß ja der Name stehen …«
Ein paar Minuten später wußten die Direktoren, wer die junge Dame von damals war: Ursula Fürst. Der technische Direktor übernahm es, die Polizei zu informieren, während der kaufmännische Direktor den Portier verhörte und einige Sekretärinnen, die alle die erregte junge Dame gesehen hatten.
Zwei Stunden später – bei solchen sensationellen Sachen arbeitet die Polizei immer schnell – wurde Ursula Fürst im Stall der Reitschule an der Unterelbe festgenommen. Sie hatte gerade ihr Pferd gesattelt und wollte ausreiten in den kalten, sonnigen Wintermorgen. Sie war deshalb ausgesprochen verblüfft, als zwei Beamte der Mordkommission in Zivil in den Stall kamen, ihre Polizeimarken vorwiesen und Ursula Fürst baten, sofort mit aufs Präsidium zu kommen.
»Aber warum denn?« fragte sie und lehnte sich gegen das gesattelte Pferd. »Bin ich irgendwo zu schnell gefahren? Habe ich bei Rot die Kreuzung passiert? Das ist doch kein Grund, um mit zwei Kriminalbeamten …«
»Reden Sie nicht soviel. Mitkommen!« sagten die Beamten in bester deutscher Beamtenhöflichkeit. »Das erfahren Sie alles auf dem Präsidium.«
Sie ließen Ursula Fürst in ihren Wagen einsteigen und bewachten sie wie einen ertappten Parksünder. Früher hätte man gesagt: wie einen Mörder … aber diese Zeiten, in denen man Unterschiede machte, sind vorbei. Wer falsch parkt, ist für die Bullen genauso ein Bösewicht wie ein Bankräuber.
Im Zimmer der Mordkommission herrschte Ruhe. Der ›Fall Pommer‹ war ausgesprochen langweilig. Keine Fahndung nach dem Täter, keine großen Tatortuntersuchungen, keine komplizierten Spurensicherungen. Es war alles so klar wie Aalsuppe: Ein Toter, Herzschuß, ein geständiger Täter, Affekthandlung. Die Vorführung Ursula Fürsts war nur eine Routinesache und mehr Neugier als Notwendigkeit. Einer offiziellen Anzeige muß man nach dem Gesetz nachgehen, und Ursula war offiziell von zwei Herren der
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