Nacht der Versuchung
noch ein wenig schwach auf den Beinen und schwankte leicht. »Rede mit deinem Mann! Gib mir diese letzte Chance, ein anständiges Leben anzufangen. Ich verspreche dir, dann keinerlei Schwierigkeiten mehr zu machen.«
Sie starrte ihn verwundert an. Zweifel stiegen in ihr hoch. War das wieder nur gut gespieltes Theater? Oder hatte irgendein Ereignis ihn tatsächlich verändert? Suchte er wirklich nur eine Chance, eine Hilfe!
Margit schloß die Augen. Sie spürte, wie Pommer auf sie zukam, wie seine Hände ihre Schultern berührten, ganz sanft, nicht fordernd und brutal wie damals an der Ostsee, nein, beinahe demütig, bettelnd.
»Margit …« Seine warme, weiche Stimme. »Ich weiß, daß ich vieles falsch gemacht habe, daß du mich hassen mußt nach allem, was passiert ist. Aber glaubst du wirklich, daß ich durch und durch schlecht bin? Wenn ich das wäre, hättest du mich dann jemals lieben können?«
Sie riß sich los, trat hastig zurück. Seine Worte hatten eine Saite in ihr angeschlagen, die sie längst zerrissen geglaubt hatte. Verwirrt fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn. »Leg dich hin«, sagte sie tonlos. »Versuche zu schlafen. Wir können morgen früh weiterreden.« Sie verließ rasch die Kammer.
In dieser Nacht schlief sie kaum. Unruhig wälzte sie sich in ihrem Bett, ständig verfolgt von Gedanken, Erinnerungen, Ängsten und Konflikten.
Klaus, dachte sie immer wieder. Wenn du doch jetzt da wärst! In deiner Nähe ist alles so anders, so einfach, so sicher. Aber ich bin allein … allein mit meiner Angst und meinem Geheimnis. Ich spüre, wie ich schwach werde, wie dieser Schuft nebenan in der Kammer wieder Macht über mich gewinnt, langsam, unmerklich fast, schleichend …
Am Morgen stand sie gegen acht Uhr auf. In der Nacht hatte es gefroren. Über dem Land lag weißer, glitzernder Rauhreif. Das Geäst der Bäume war in bizarren Formen erstarrt.
Eine Stunde später, während Emma Fred Pommer das Frühstück ans Bett brachte, ging Margit allein durch die weiße Heide, in Stiefeln und Pelzmantel. Sie wollte Pommer jetzt noch nicht sehen, noch nicht mit ihm sprechen. Sie brauchte Zeit, Ruhe, Besinnung. Es war so schwer, einen Entschluß zu fassen. Als sie kurz nach zehn zum Heidehaus zurückkam, war gerade der Krankenwagen vorgefahren. Er brachte auch den Arzt aus Wulfbüttel mit.
»Der Patient hat tatsächlich eine Gehirnerschütterung«, sagte der Arzt nach einer kurzen Untersuchung. »Nicht schwer, aber immerhin.«
Margit nickte, murmelte etwas und ging an ihm vorbei in die Kammer. Fred Pommer saß ziemlich blaß auf der Bettkante und sah ihr mit großen fragenden Augen entgegen.
Sie schloß die Tür hinter sich und trat auf ihn zu.
»Nun?« fragte er mit einem flauen Lächeln.
Sie sprach leise, aber deutlich und scharf. »Ich habe es mir überlegt. Ich werde mit meinem Mann reden und versuchen, dir eine Stellung im Werk zu besorgen.«
»Danke, Kleines«, sagte er rauh. Er wollte nach ihren Händen greifen, aber sie wich zurück.
»Nur eins merke dir«, fuhr sie fort. »Du hast mir versprochen, mich danach in Ruhe zu lassen. Wenn du trotzdem noch einmal versuchst, mich zu behelligen, dann gnade dir Gott! Dann kenne ich keine Rücksichten mehr!«
»Keine Angst«, brummte er. »Freddy ist ja kein Unmensch.«
Eine Viertelstunde später brachten ihn zwei Sanitäter auf einer Trage ins Auto. Langsam rumpelte der Krankenwagen über den holprigen Weg davon. Margit sah ihm nach, in ihrem Herzen rangen Erleichterung und Angst vor neuem Unheil miteinander.
»So ein armer Mensch«, sagte Emma dicht hinter ihr. »Und dabei ist er so nett.«
Margit wandte sich so heftig ab, daß die Haushälterin ihr erschrocken nachblickte.
*
Sonja Richartz hatte schlecht geschlafen. Sie schlief oft schlecht in der letzten Zeit, und ihre Laune am Morgen war dann entsprechend. Um halb elf Uhr hatte sie nach ihrem Dienstmädchen geklingelt und im Bett gefrühstückt. Um elf kam das Mädchen wieder ins Schlafzimmer. »Ein Herr möchte Sie sprechen«, sagte sie.
»Ein Herr?« Sonja Richartz hob den Kopf. »Jetzt?«
»Ja. Julius Stämpfle heißt er. Sagt, es wäre sehr dringend.«
Sonja zuckte hoch. Julius Stämpfle, der Mann von der Detektivagentur ›Wahrheit‹ … Plötzlich war ihre schlechte Laune verschwunden.
So schnell hatte sie sich schon lange nicht mehr zurechtgemacht. Zwanzig Minuten später ging sie dem Detektiv im Salon entgegen, reichte ihm strahlend ihre kühle, gepflegte Hand, die leicht
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