Nacht der Versuchung
anfänglicher Verwunderung wieselschnell, als sie hinter dem Schäfer noch einen Mann erkannte, mit einem durchbluteten Pflaster auf der Stirn und blassem, leidendem Gesicht.
»Mein Gott, wer ist denn das? Ist er sehr verletzt? Was ist denn passiert?«
Sie ließ die Männer in die Tenne kommen. Pommer seufzte tief und ließ sich auf eine alte Futterkiste fallen, die noch herumstand.
»Er lag im Bruch, der Wind hat ihn vom Rad gerissen. Er hat sicherlich eine Gehirnerschütterung. Können Sie ihn hier unterbringen, bis morgen der Arzt kommt?« Der Schäfer schüttelte seinen dicken Mantel aus. Vor der Tür rumorten die Schnucken und bellten die Hunde.
»Aber ja, ja! Wir haben ja Zimmer genug.« Emma, die gute Seele, rang die Hände, griff dann Pommer unter die Achsel und führte ihn in eines der Zimmer, die von der Tenne abgingen. Es war eine kleine Kammer, in der nur ein Bett stand, weiter nichts. Von der Decke hing eine uralte Lampe, die Emma mit einem Streichholz zum Brennen brachte. Pommer ließ sich auf das Bett fallen und stöhnte.
»Ist es schlimm?« fragte Emma den Schäfer. »Kennen Sie ihn?«
»Nein. Ein Fremder.« Der Schäfer packte seine Sanitätstasche aus. Eine Flasche Alkohol, Jod, ein Röllchen Schmerztabletten, eine gelbliche Salbe, Verbände. »Gehen Sie, holen Sie warmes Wasser. Ich werde ihn schon versorgen.«
Mit fliegenden Röcken rannte Emma in die Küche. Pommer schielte auf den Sanitätskasten und tastete sich an seinen Kopf.
»Was haben Sie da für mich?« fragte er stöhnend.
»Eine gute Heilsalbe, mein Herr. Ist zwar für die Schafe – aber was den Viechern gut tut, ist auch für Menschen gut.«
»Danke!«
Der Schäfer kam zu ihm, riß ihm das Pflaster mit einem Ruck ab und schüttelte den Kopf, als Pommer »Au! Verdammt!« schrie.
»Seien Sie kein Schlappschwanz, mein Herr! Gleich, beim Alkohol und beim Jod, wird's schön brennen.«
Der Schäfer setzte sich auf das Bett und wartete auf das heiße Wasser.
Im Wohnzimmer, das nach hinten heraus lag, stand Emma vor Margit und hielt eine Schüssel und vier Handtücher an sich gepreßt. »Der Schäfer ist eben gekommen und hat einen Verletzten mitgebracht«, sagte sie. »Er kann erst morgen abgeholt werden. Ich habe ihn in die kleine Kammer getan. Haben Sie nichts gehört?«
»Nein.« Margit stellte das Transistorradio ab und stand aus dem Sessel auf. »Ein Verletzter? Das ist ja schrecklich. Schwer?«
»Ich weiß nicht.«
Margit rannte hinaus und hinüber zu der kleinen Kammer. Schon in der Tenne hörte sie lautes Stöhnen. Der Schäfer betupfte die Wunde mit Alkohol. Sie riß die Tür auf und sah zunächst nichts als eine auf dem Bett liegende Männergestalt, über die sich der Schäfer beugte.
»Kann ich helfen?« fragte sie atemlos. »Ich habe einmal einen Kursus in Erster Hilfe mitgemacht.«
Sie kam näher. Im Windzug pendelte die alte, blakende Petroleumlampe.
»Wasser brauche ich.« Der Schäfer richtete sich auf und trat zurück.
Es war, als erstarrte Margits Herz zu einem Eisblock, als sie das Gesicht des Verletzten sah.
»Guten Abend, gnädige Frau«, sagte der Fremde und lächelte mit den Augen. »Mein Name ist Pommer. Fred Pommer. Ich habe mich in der Heide verirrt und wurde vom Wind, dem himmlischen Kind, aus dem Sattel gehoben. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen so große Umstände mache, aber es ist nicht meine Schuld. Ich war in die Heide gefahren, um einen Käfer zu suchen. Sie müssen wissen, ich bin ein leidenschaftlicher Liebhaber der kleinen, süßen Käfer.«
Bis ins Innerste erschüttert, lehnte sich Margit an die Wand. Mein Gott, schrie es in ihr, o mein Gott … warum hast du das zugelassen?!
Warum läßt du Paradiese zu Höllen werden!
Emma kam zurück, eine Schüssel heißes Wasser in den Händen. Margits Erstarrung löste sich. Sie trat zur Seite und sah zu, wie der Schäfer die Wunde an Pommers Kopf versorgte. Dann wandte er sich an Margit: »Ich bin in einer Stunde zu Hause und telefoniere von dort aus sofort mit dem Arzt. Morgen früh wird der Krankenwagen kommen und unseren Unglücksraben abholen.«
Fred Pommer richtete sich in dem Bett auf: »Muß das sein?«
»Natürlich.« Der Schäfer nickte. »Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen, mein Lieber. Sie gehören in ein Krankenhaus. Gute Besserung!« Er nickte Pommer zu und wandte sich um.
Margit brachte ihn hinaus. »Meinen Sie, daß der Verletzte rechtzeitig abgeholt wird?« fragte sie mit heimlich zitternder Stimme. Er
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