Nacht der Versuchung
Identifizierung kann alles heißen. Man kann auch einen Toten identifizieren. Wo steht hier, daß er lebt?«
»Das stimmt.« Pommer las den Text auch noch einmal. »Kein Wort, daß er lebt. Er kann auch endlich angeschwemmt sein.«
»Genau das glaube ich.« Mühlen putzte sich die Brille, sie war vor Aufregung beschlagen. »Warten wir also ab …«
Im Garten des Krankenhauses in Barcelona fand das Wiedersehen statt. Der Oberstaatsanwalt, der Polizeidirektor, Baurat Bernhardt und der Chefarzt hatten sich in den Büschen versteckt, als Fernando Exposito langsam über den geharkten Weg kam und der Banknische entgegenging, in der Margit wartete. Man hatte Margit rücksichtslos alles erklärt … Unfall, Gehirnquetschung, Ausschaltung des Erinnerungsvermögens … Vielleicht half jetzt der große Überraschungsmoment.
Vier Schritte vor der Bank trat Margit heraus in den Weg und breitete die Arme nach Fernando aus. Ihre Stimme zerflatterte, als sie rief:
»Klaus! Du lebst … Klaus …« Sie wollte mit offenen Armen auf ihn zustürzen, aber Fernando blieb ruckartig stehen, sah im Gebüsch den weißen Kittel des Chefarztes und trat zur Seite.
»Wer ist diese Dame, Señor?« fragte er steif. »Was will sie?«
»Klaus!« schrie Margit verzweifelt. »Klaus! Erkennst du mich denn nicht?« Sie schwankte, und Baurat Bernhardt sprang aus seinem Versteck, um seine Tochter zu stützen. Auch seinen Schwiegervater sah Blankers wie einen völlig Unbekannten an und hob beide Arme.
»Ich kenne diese Dame nicht«, sagte er zu dem Oberstaatsanwalt, der hinter der Bank hervorkam. »Was wollen sie alle von mir?«
»Das ist Ihre Frau, Herr Blankers«, sagte der Chefarzt eindringlich. Fernando starrte Margit aus weiten Augen an und schüttelte dann langsam den Kopf.
»Meine Frau ist Estrella …«, sagte er leise.
»Wer ist Estrella?« Der Oberstaatsanwalt witterte die Lösung des Geheimnisses. »Fuhr sie mit Ihnen im Auto?«
»Ich habe kein Auto. Nur ein Boot.«
»Als Sie abstürzten, wo war da Estrella?«
»Ich bin nie abgestürzt. Nur einmal hatte das Boot ein Loch … aber wir erreichten noch das Ufer. Juan hat es sofort mit einem Pfropfen verschlossen.«
»Mein Gott! Mein Gott!« stotterte Bernhardt und zog Margit an sich. »Er hat völlig den Verstand verloren.«
Mit weit aufgerissenen Augen sah Margit ihren Mann an. Sein Blick war weit weg … über das Meer flogen seine Gedanken, zu der kleinen Insel Baleanès und dem schwarzhaarigen Fischermädchen Estrella.
»Klaus …«, stammelte Margit. »Klaus … ich bin es doch. Margit! Sieh mich doch an … bitte, bitte, sieh mich an … Denk an die Heidekate … an unser Haus … an unser Kind … Klaus! Monika!« schrie sie plötzlich grell. »Monika! Erinnere dich doch! Monika! Monika!«
Klaus Blankers – so wollen wir ihn wieder nennen – drehte sich wieder zu dem Chefarzt um. »Was will diese Frau von mir?« fragte er in fließendem Spanisch. »Ich kenne sie nicht. Warum schreit sie so? Ich möchte überhaupt wissen, was das alles soll. Ich habe nichts verbrochen. Ich möchte auf die Insel zurück. Estrella wartet und weiß nicht, wo ich bin.«
Behutsam führten der Chefarzt und Baurat Bernhardt die haltlos weinende Margit fort, während der Oberstaatsanwalt sich mit Blankers in entgegengesetzter Richtung entfernte.
»Sie müssen Mut haben, kleine Frau, viel Mut«, sagte der Chefarzt später in seinem Zimmer. Er hatte in Bonn studiert und sprach ein gutes Deutsch. »Eine Operation kann Erleichterung verschaffen. Wir sind hier nicht darauf eingerichtet, aber die neurochirurgischen Kliniken in Köln und Bonn, die weithin bekannt sind, werden auf jeden Fall operativ etwas erreichen können. Es wird aber – das will ich nicht verschweigen – eine sehr schwierige Operation werden.«
»Ich verstehe das alles nicht. Ich verstehe es einfach nicht.« Margit legte beide Hände über ihr zuckendes Gesicht. »Wie kann ein Mensch so völlig anders werden?«
»Das beweist wieder, wie armselig so ein genial durchkonstruierter Mensch in Wirklichkeit ist. Ein paar Nerven weniger, und schon brechen Welten auseinander.« Der Chefarzt sah Baurat Bernhardt an und nickte ihm zu. »Sie müssen sehr tapfer sein. Man weiß nie, was noch alles kommt. Das verletzte Hirn eines Menschen birgt tausend Überraschungen, und meistens keine guten.«
Die nächsten Tage waren ein Gang durch die Hölle.
Klaus Blankers wurde trotz seiner Proteste mit dem Flugzeug nach Deutschland gebracht. Wie ein
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