Nacht der Versuchung
zurück. »Wie ehrlich ist da deine Estrella. Sie zeigt, wen sie liebt, und fragt nicht lange. Fernando wird diese Insel nie mehr verlassen; er wird treuer sein als Millionen anderer Ehemänner mit Papier und Segen.«
»Sie lästern, Don Lopez«, stammelte Juan leise. »Sie verleugnen die gottgewollte Ordnung.«
»Ich sehe, wie das Leben ist, du Idiot.« Dr. Lopez goß die Gläser wieder voll. »Ich habe mein ganzes Leben lang die Menschen studiert. Man kann das vorzüglich, wenn man als Trinker immer abseitssteht. Man hat den richtigen Blickwinkel dazu. Und was habe ich gesehen? Betrug, Heuchelei, Bigotterie, Lüge und Verrat. Alles, was wir Ordnung nennen, ist Heuchelei! In Wirklichkeit sind wir Menschen nichts anderes als Pflanzen und Tiere, Luft und Wasser mit dem Ballast des denkenden Hirns. Deine Estrella, die lebt so, wie sie soll: frei, ihrem Herzen gehorchend. Sie wird Kinder kriegen, eines nach dem anderen, sie wird ihr Haus gut versorgen, sie wird glücklich sein mit diesem Fernando, und dieser Fernando wird sie nie prügeln, wie du deine Alte, sie werden das Muster einer Ehe sein, auch ohne Papiere, und sie werden Gott jeden Abend danken, wieder einen solch glücklichen Tag erlebt zu haben. Sie werden sein wie die Wildkirschen, süß und voll Saft, trunken von Sonne. Was willst du eigentlich mehr, du Idiot?«
Verwirrt ging Juan Cortez zurück ins Fischerdorf und sprach mit seiner Frau darüber. »Es ist alles unrecht, was Don Lopez sagt«, meinte er nachdenklich. »Es ist gegen Gott und die Moral, es ist überhaupt gegen alles, was Ordnung ist. Aber wenn man es genau überlegt: Ein bißchen recht hat er doch. Nur, daß dies mir passieren muß … ich werde darüber ein alter Mann vor Gram.«
Mit einer Woche Verspätung – es kam ein wilder Sturm auf, der allen Schiffsverkehr unmöglich machte und die halbe Insel überfluten ließ – traf von Columbrete Grande der Versorgungsdampfer ein. Fernando war im kleinen Hafen und ruderte mit den anderen Fischern hinaus zu dem vor den Untiefen ankernden Schiff, um die Ware abzuholen und den Salz- und Trockenfisch abzuliefern. Außerdem nahm der Kapitän gern die Schnitzereien mit, die an den langen Abenden in den Hütten entstanden: Schiffe, bizarre Vögel, Aschenbecher und Blumenkübel.
Verwundert starrte der Kapitän von der Kommandobrücke auf das Boot, in dem Fernando saß und Fischsäcke an den Haken des Krans band. »Wer ist denn das da?« fragte er und zeigte auf den weißhäutigen Mann. »Der ist doch neu auf der Insel. Wo kommt der denn her? Das ist doch keiner aus dem Süden.«
»Noch nie gesehen, Käpt'n«, antwortete der 1. Offizier. »Soll ich ihn an Bord holen?«
»Das ist ein guter Gedanke.«
Zehn Minuten später stand Fernando Exposito in der Kapitänskajüte und wunderte sich, wie offensichtlich erregt der Kapitän war. Fernando hatte seinen breitkrempigen geflochtenen Strohhut vom Kopf genommen. Seine mittelblonden Haare waren lang geworden und hingen ihm fast bis auf die Schultern.
»Exposito heißen Sie?« wiederholte der Kapitän. »Ja, mein Gott, wo kommen Sie denn her?«
»Ich weiß nicht. Ich lebe auf der Insel.«
»Und vorher?«
»Ich glaube, ich war immer auf der Insel.«
»Ich habe Sie aber noch nie gesehen.«
»Ich auch nicht.« Fernando wischte sich über das Gesicht. »Ich bin Assistent von Dr. Lopez.«
»Ach so.« Der Kapitän nagte an der Unterlippe. »Es freut mich jedenfalls, Sie kennengelernt zu haben.«
Auf der Insel tobte unterdessen Dr. Lopez. Als spüre er, welche Gefahr herankam, schrie er Juan Cortez an und drohte mit Ohrfeigen und ärztlichem Boykott.
»Wie könnt ihr ihn weglassen zum Schiff?« brüllte er. »Wie könnt ihr Vollidioten ihn allein fahren lassen? Soll er Estrella sitzenlassen? Wenn er nun mitfährt mit dem Schiff? Man sollte euch allen das Gehirn aus den Schädeln reißen, denn es ist ja doch nur Ballast! Lassen sie Fernando zu dem Schiff, während ich gerade schlafe! Oh, ihr Blöden! Ihr Fischköpfe! Ihr Hosenscheißer! Wißt ihr denn, was daraus werden kann?«
Sie wußten es nicht, und Dr. Lopez hütete sich, es näher zu erklären. Er atmete nur auf, als Fernando zwei Stunden später mit dem Boot zurückkehrte und auf Befragen sagte: »Der Kapitän hat mir hundert Peseten extra geschenkt. Er war sehr lieb zu mir und will mir in vier Wochen Zeitungen mitbringen.«
Dr. Lopez stöhnte dumpf und schwieg. Er ahnte, daß der Frieden auf Balcanes vorbei war. An diesem Tag betrank er sich so
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