Nacht der Versuchung
hölzernen Bewegungen legte sie die Dinge auf den Tisch, die sie mitgebracht hatte: eine Tüte mit Weintrauben, eine Flasche Rotwein, Apfelsinen, ein paar Zeitungen und Illustrierte.
»Margit, sieh dir bloß diesen herrlichen Flieder an«, sagte Blankers unbefangen. »Kannst du einer Schwester klingeln, damit sie eine Vase bringt?«
Margit nickte. Es war das Nicken einer Puppe.
»Wer ist die andere Dame?« fragte sie, und ihre Stimme kam ihr selbst fremd vor.
»Sie soll Estrella heißen«, sagte Blankers und rutschte im Bett etwas höher. Er sagte es mit der Klarheit eines Menschen, der kein Falsch kennt. »Sie behauptet, mit mir bekannt zu sein. Aber ehrlich – ich kenne sie gar nicht.«
Margits Lippen waren schmal wie ein Strich. Und dann sagte sie etwas, was sie noch nie zu ihrem Mann gesagt hatte und was sie nie für möglich gehalten hätte: »Bitte, rede nicht weiter! Du lügst!«
Es war wie der Einschlag eines Blitzes. Betroffen, stumm vor Ratlosigkeit, mit den Augen eines unschuldig gestraften Kindes sah Blankers seine Frau an.
Es war der Augenblick, in dem sich Estrella zu ihm vorbeugte und ihn auf den Mund küßte.
»Amado mio!« sagte sie dabei.
Mein Liebster …
Zwei, drei Sekunden lang war es still im Zimmer, so unheimlich still, als halte alles Lebende den Atem an, um dann mit einer Explosion die Spannung zu lösen. Auch Sonja Richartz saß mit starrer Haltung am Bett und sah Estrella wie etwas ganz Entsetzliches an.
Erst als die Tür wieder mit ihrem typischen saugenden Ton, den die Gummidichtungen verursachten, zuklappte, löste sich die Spannung. Professor Mayfelder überblickte die Situation sofort und legte der sich abwendenden Margit die Hand auf den Arm.
»Sie sollten jetzt nicht flüchten, kleine Frau«, sagte er leise. »Denken Sie daran, daß Ihr Mann ein paar Wochen lang sein Gedächtnis verloren hatte. Noch wissen wir nicht genau, was in dieser Zeit alles geschehen ist.«
Margit nickte und biß die Zähne aufeinander. Zusammen mit Professor Mayfelder trat sie an das Bett, beugte sich über Klaus und küßte ihn auf die Stirn.
Estrella sprang auf und ballte die kleinen Fäuste.
»Vete al diablo!« schrie sie. Sie stampfte mit den Füßen auf und wollte dann um das Bett herum zu Margit laufen. Mayfelder hielt sie fest und zog sie in die Mitte des Zimmers.
»Kommen Sie«, sagte er in einem holprigen Spanisch. »Hier können wir nicht bleiben. Das ist seine Frau.«
Estrella starrte Margit an. Ihre schwarzen Augen funkelten wild. »Fernando liebt mich! Nur mich!« schrie sie. »Oh, ich lasse ihn töten, ehe ihn eine andere bekommt!«
Blankers hielt Margits Hände fest, als er merkte, daß sie sich aufrichten wollte. »Ich weiß wirklich nicht, was sie will«, sagte er leise. »Es kann sein, daß ich sie irgendwo kennengelernt habe. Professor Mayfelder deutete so etwas an, ich soll auf einer Insel gelebt haben, ein Fischer hat mich aus dem Meer geholt und mitgenommen … und wenn ich ganz scharf nachdenke, ist es mir, als wenn ich einen Strand sähe, das Meer, Fischerkähne, aber alles ist wie in einem dichten Nebel … Margit!« Er umklammerte ihre Hände. »Glaube mir doch, daß ich mich an nichts mehr erinnern kann.«
»Ich glaube es dir, Klaus.« Margit setzte sich auf die Bettkante und sah zu Sonja Richartz hinüber, die mit unruhigen Fingern an dem Blumenstrauß spielte. »Ich möchte mit meinem Mann gern allein sein!«
Sonja Richartz sprang auf, ihr Gesicht glühte plötzlich.
»Bis morgen, Klaus!« sagte sie aggressiv und warf den Kopf in den Nacken. »Es freut mich jedenfalls, daß mein Besuch Ihnen nicht so unangenehm war wie Ihrer Frau. Vielleicht muß man erst schwer krank werden, um den Wert eines Menschen zu erkennen.« Sie nickte Margit hochmütig zu und ging mit stolzer Haltung, ganz die große, beleidigte Dame, aus dem Zimmer.
»Fernando!« rief Estrella. Professor Mayfelder hielt sie noch immer fest. Es war ihm unmöglich, ohne Gewalt das Mädchen aus dem Zimmer zu bringen. Und Gewalt war das letzte, zu dem Mayfelder fähig war.
»Was soll mit ihr geschehen?« fragte Margit leise. Es kostete sie viel Überwindung, das zu fragen, aber sie sah, wie die Aufregung sich in Klaus' Gesicht spiegelte, wie seine Augen einfielen, dunkle Schatten sich bildeten und das Gesicht wieder spitz und elend wurde. »Soll ich sie mit zu uns nehmen?«
»Wenn du das kannst, Margit«, sagte Blankers erschöpft. Dieser Tag war zuviel für ihn gewesen. Er sehnte sich nach Ruhe,
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