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Nacht der Versuchung

Nacht der Versuchung

Titel: Nacht der Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schlaf, Alleinsein. In seinem Kopf hämmerte das Blut, und er hatte das Gefühl, als werde er auseinandergesprengt.
    »Wo soll sie denn hin? Spricht sie überhaupt kein Wort deutsch?«
    »Ich weiß es nicht, Liebste. Ich kenne sie ja gar nicht.« Blankers schloß die Augen. Sein Kopf sank zur Seite. Die Erschöpfung übermannte ihn. Margit erhob sich vom Bett und trat an Estrella heran. Wie eine angegriffene Katze duckte sich das Mädchen etwas und spreizte die Finger. Sie sah herrlich aus in ihrer unbezähmbaren Wildheit.
    »Kommen Sie mit mir«, sagte Margit leise. Mayfelder übersetzte es leidlich, aber Estrella schüttelte heftig den Kopf. Die schwarzen Haare flogen um ihr Gesicht wie ein Schleier im Sturmwind.
    »No!« sagte sie kurz und schroff.
    Margit wandte sich ab und ging zur Tür. Damit gab sie den Blick frei auf das Bett und auf den schlafenden Kranken. In diesem Augenblick sah Blankers unter dem dicken Verband wie ein Toter aus, starr, mit spitzer weißer Nase und blutleeren Lippen.
    »O Madre … Madre …«, stammelte Estrella und begann plötzlich zu weinen. Ihr Widerstand zerbrach. Willenlos ließ sie sich auf den Flur führen, wo Margit sie erwartete, ohne weitere Worte unterfaßte und aus der Klinik führte.
    Professor Mayfelder blieb allein bei Blankers, fühlte den Puls, hörte das Herz ab und schellte dann nach der Stationsschwester.
    »Ab sofort kommt niemand mehr zu Herrn Blankers!« sagte er leise, aber im Befehlston. »Nur seine Frau! Sonst keiner! Ich werde den Pfleger Naumann herunterschicken, daß er Sie unterstützt, Schwester Else. Der Kranke darf ab sofort keine Minute ohne Wache bleiben, damit solche Pannen wie das Auftauchen der Frau Richartz vermieden werden.« Er zog hinter sich leise die Tür zu und erst dann, auf dem Flur, sprach er wieder laut. »Ich mache Sie persönlich für alles haftbar, Schwester Else, was von heute an hier passiert! Und wenn sich die Besucher nicht abweisen lassen, dann drücken Sie auf den Alarmknopf. Ich habe nicht die geringste Lust zu erforschen, wie sich eine psychische Krise bei Herrn Blankers äußert.« Er sah auf seine goldene Armbanduhr, die auch ein Kalenderfenster hatte. »Heute ist der zehnte Dezember«, sagte er nachdenklich. »Am Dreiundzwanzigsten wird Blankers entlassen, versuchsweise. Er soll Weihnachten zu Hause sein.«
    Mayfelder verließ die Station I in tiefer Nachdenklichkeit. Wir wissen so viel über das menschliche Hirn, dachte er, aber im Grunde genommen wissen wir erschreckend wenig. Wie wird Klaus Blankers reagieren, wenn er wieder in seiner gewohnten Umgebung ist? Ist ihm die Intelligenz geblieben? Werden sich Spätschäden herausstellen? Konzentrationsschwäche, Vergeßlichkeit, Jähzorn, Depressionen, Halluzinationen, Schübe von Schizophrenie, manische Psychosen? Alles ist möglich, wer kann es voraussagen? Verkürzt man einen Magen, so weiß man, wie er hinterher reagiert. Nimmt man die Galle heraus, kennt man den weiteren Verdauungsvorgang. Nur wie ein Hirn sich einstellt, wie es sich wandelt, wie es sich weiterentwickeln wird, das weiß man nicht. Man muß sich überraschen lassen.
    Würde auch Klaus Blankers für eine Überraschung sorgen?
    *
    Die Blankers-Werke zeigten keinerlei Stagnation durch den Ausfall ihres Chefs. Man mochte in den Fabriken und vor allem bei den Abteilungsdirektoren denken wie man wollte, man konnte Pommer bis zum Mordgedanken hassen oder ihn als erbärmlichen Emporkömmling verachten, eines konnte man ihm nicht absprechen: Er zeigte ein ungeheures geschäftliches Geschick.
    Vier neue Großverträge hatte Fred Pommer in die Firma eingebracht: Ein Japangeschäft, dessen Zustandekommen als ein wahres Kunststück betrachtet wurde, da Japan für nahezu fünfzig Prozent unter Weltmarktpreis fast alles selbst produzierte. Zwei Aufträge für schwarzafrikanische Staaten, deren Bürgschaft die Bundesregierung in Bonn mit Entwicklungshilfegeldern übernahm. Und einen Auftrag aus Indien; die Blankers-Werke verpflichteten sich, innerhalb von fünf Jahren für zehn Millionen Feinmechanikausrüstungen zur Einrichtung von Lehrwerkstätten zu liefern. Zehn Meister waren ausgewählt worden, diese Werkstätten aufzubauen.
    Dr. Preußig nutzte die Abwesenheit Pommers – er verhandelte in Schweden wieder wegen Spezialstahl – aus und berief eine Direktionssondersitzung ein. »Meine Herren«, sagte er mit aller Ehrlichkeit, »es läßt sich nicht leugnen, daß die Aktivität Herrn Pommers der Firma eine

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