Nacht der Versuchung
Frau nimmst, die dir Söhne schenkt, damit sie in deine Fußstapfen treten, wie du in die deines Großvaters und Vaters getreten bist.”
Xavier seufzte. “Wenn es nur so einfach wäre, Ashar.”
“Und warum sollte es nicht so sein? Diese Frau … hast du vielleicht Angst, sie könnte unsere Traditionen nicht respektieren und versuchen, dich dem Stamm und deinen Pflichten ihm gegenüber zu entfremden? In dem Fall wäre sie nicht die Richtige für dich. Aber so, wie ich dich kenne, kann ich nicht glauben, dass in deinem Herzen überhaupt Platz für eine solche Frau wäre. Du musst lernen, dem zu vertrauen, was hier drinnen ist …”, Ashar zeigte auf sein Herz, “anstatt nur zu glauben, was hier drinnen ist …” Bei diesen Worten zeigte er auf seinen Kopf.
Xavier unterdrückte ein Lächeln. Ashar hatte ja keine Ahnung, wie gefährlich seine Gefühle außer Kontrolle geraten waren!
Er wartete noch, bis der Stamm aufgebrochen war, bevor er sich in den Jeep setzte und sich auf den Weg zurück zur Oase machte. Am Nachthimmel funkelte eine schmale Mondsichel mit Abertausenden Sternen um die Wette, wie Diamanten in mitternachtsblauem Samt. Xavier liebte die Wüste bei Nacht. Da fühlte er sich seinem Erbe besonders verbunden. Schon viele, viele Generationen vor ihm waren seine Vorfahren durch die Wüste gezogen, und es war seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie es noch viele Generationen in der Zukunft tun würden. Das ließ sich nicht aus einem luxuriösen, klimatisierten Büro heraus erreichen, wie es Khalid gefallen hätte. Nein, die alten Stammestraditionen ließen sich nur bewahren und ehren, indem man Teil davon blieb. Xavier empfand das als seine unveräußerliche Pflicht.
Andererseits konnte er seine Gefühle, seine Liebe zu Mariella weder verleugnen noch ignorieren. Die Macht dieser Gefühle hatte ihn anfangs erschreckt. Aber nun war er zu der unabänderlichen Erkenntnis gelangt, dass es nicht in seiner Macht lag, zu ändern oder zu kontrollieren, was er fühlte.
Xavier sah Mariellas Jeep, als er sich der Oase näherte. Er parkte daneben, stieg aus und betrachtete den anderen Wagen nachdenklich. Gewöhnlich lud er niemanden ein, wenn er in der Oase war, und gerade jetzt war er ganz bestimmt nicht in der Stimmung für ungebetene Gäste! Wer mochte der Fahrer sein? Und wo mochte er stecken?
Gereizt ging Xavier zum Zelt. Er kannte sich dort so gut aus, dass er kein Licht anzünden musste, um mit traumhafter Sicherheit zum Schlafzimmer zu finden.
Mariella hatte sich wie ein kleines Kind in die Mitte des großen Bettes gekuschelt und schlief tief und fest. Sie war nur mit Xaviers weißem Morgenmantel bekleidet, in dem ihr zierlicher Körper buchstäblich versank. Auf einem niedrigen Tisch neben dem Bett brannte eine Lampe. Ihr sanfter Schein erhellte Mariellas zartes Gesicht, die dichten, seidigen Wimpern, das zerzauste Blondhaar. Der betörende Duft ihres Parfüms stieg Xavier in die Nase, und ihn durchzuckte heißes Verlangen. Seine Hand umschloss die Kordel, die den Türvorhang zurückhielt. Sein Herz schlug wie wild. Wenn er vernünftig gewesen wäre, hätte er sie genommen, zum Jeep hinausgetragen und wäre mit ihr geradewegs in die Stadt zurückgefahren.
Stattdessen ließ er den schweren Türvorhang hinter sich zufallen, sodass sie nun beide im sinnlichen Halbdunkel dieses orientalischen Schlafgemachs gefangen waren. Langsam ging Xavier zum Bett und betrachtete die schlafende Mariella.
Irgendetwas – ein Gefühl, eine Schwingung – weckte Mariella. Sie regte sich, schlug die Augen auf. “Xavier!” Erleichterung, aber auch Sehnsucht wallte in ihr auf. Ein wenig mühsam versuchte sie sich aufzusetzen, wobei sich ihre Arme und Beine in Xaviers großem Morgenmantel verhedderten.
“Was tust du hier?”, fragte Xavier schroff.
“Ich warte auf dich”, antwortete Mariella kühn. “Ich warte auf dich, um dir zu sagen, wie sehr ich dich begehre und wie sehr ich hoffe, dass du mich auch begehrst.”
Sie sah das überraschte Aufleuchten in seinen grauen Augen.
“Und du bist den weiten Weg gefahren, um mir das zu sagen!”
Seine Stimme mochte kühl und unbeeindruckt klingen. Aber er wich ihrem Blick aus, und Mariella spürte deutlich seine innere Anspannung. Das machte ihr Mut.
“Nicht, um es dir zu sagen, Xavier”, sagte sie deshalb noch kühner. “Sondern, um es dir zu zeigen …”
Sie stand auf und ließ dabei den Morgenmantel zu Boden gleiten. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal
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