Nacht des Flamingos
Männer, die Sie jeden Abend ins Haus brachten. Die Männer, die sich bei Ihnen meldeten, weil sie ein Mädchen haben wollten.«
»Hören Sie mal!« rief Macek. »Sehe ich vielleicht wie ein Zuhälter aus?«
»Ersparen Sie mir die Antwort«, versetzte Miller. »Sie haben das Mädchen während der letzten zwei Wochen eingesperrt. Als sie es nicht mehr aushielt, verprügelten Sie sie und warfen sie hinaus.«
»Beweisen Sie das erst mal!«
»Das ist gar nicht nötig. Sie sagen also, Sie haben wie Mann und Frau zusammengelebt.«
»Na und? Wir leben in einem freien Land.«
»Sie ist aber erst fünfzehn.«
Maceks Gesicht wurde aschfahl.
»Das kann nicht sein.«
»O doch. Wir haben ihre Akte.«
Voller Angst und Verzweiflung blickte Macek zu Brady auf.
»Das hat sie mir nicht gesagt.«
»Eine grausame Welt, was, Macek?« meinte Brady.
Der Pole riß sich zusammen.
»Ich verlange einen Anwalt.«
»Wollen Sie eine Aussage machen?« erkundigte sich Miller.
Macek warf ihm einen feindseligen Blick zu.
»Lassen Sie mich in Ruhe!« zischte er böse.
Miller nickte. »Schön, Jack, bringen Sie ihn hinunter und lassen Sie ihm eine Zelle geben. Sie wissen schon – Unzucht mit Minderjährigen. Mit ein bißchen Glück holen wir da sieben Jahre heraus.«
Macek starrte ihn aus entsetzten Augen an. Dann packte Jack Brady ihn mit eiserner Hand am Kragen und zog ihn vom Stuhl.
»Auf, marsch, marsch!«
Macek torkelte wie benommen aus dem Raum.
Miller drehte sich nach dem Fenster um und zog den Vorhang auf. Feiner Nieselregen sprühte gegen die Scheiben. Ein bleicher Lichtstreifen am grauen Himmel kündigte den Anbruch des neuen Morgens an. Hinter Miller öffnete sich die Tür. Der junge Polizeibeamte trat ein, Tee und Zigaretten auf einem Tablett.
Miller reichte ihm das Geld und steckte die Zigaretten ein.
»Trinken Sie den Tee auf mein Wohl. Mir steht jetzt nicht der Sinn danach. Ich fahre nach Hause. Sagen Sie Wachtmeister Brady, daß ich ihn heute im Laufe des Nachmittags anrufen werde.«
Er schritt den stillen Korridor entlang und stieg müde die drei Stockwerke hinunter ins Erdgeschoß. Unten drückte er die Schwingtür auf und trat durch das schmiedeeiserne Portal des Rathauses hinaus auf die Straße. Sein Wagen, ein grüner MiniCooper, stand mit mehreren anderen Fahrzeugen zusammen am Fuß der breiten Treppe geparkt. Er verharrte einen Augenblick und zündete sich eine Zigarette an.
Es war genau fünf Uhr dreißig. Die Straßen waren wie ausgestorben an diesem trüben Morgen. Am vernünftigsten wäre es gewesen, jetzt auf dem kürzesten Weg nach Hause zu fahren und ins Bett zu kriechen. Doch eine seltsame Rastlosigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen. Es war, als warte in der Stadt etwas auf ihn. Er folgte einem völlig irrationalen Impuls, schlug den Kragen seines dunkelblauen Regenmantels hoch und eilte, den Kopf gegen den Regen gesenkt, über den Platz.
Manchen Leuten sind die frühen Morgenstunden die liebste Tageszeit. Zu diesen Menschen gehörte George Hammond. Er war der Hüter und Bewacher der großen Schleusen, die verhinderten, daß der Kanal sich in das darunter liegende Flußbett ergoß. Seit mehr als vierzig Jahren trat er Tag für Tag bei Regen, Wind und Wetter pünktlich um fünf Uhr fünfundvierzig seinen Dienst an. Wenn er durch die stillen Straßen wanderte, kostete er jeden Tag von neuem mit Genuß das morgendliche Schweigen aus.
An diesem Morgen stieg er, pünktlich wie immer, die Stufen zur Brücke hinauf und blieb stehen, um in den Fluß hinunterzublicken. Hier, so weit flußaufwärts, zogen nur Barken und Lastkähne ihre ruhige Bahn.
Er schritt die Brücke entlang zum anderen Ende, stieg die Stufen hinunter und wanderte gemächlich am Ufer entlang. In einer Bucht des Flußbeckens lagen Bauch an Bauch schwerbeladene Kohlenkähne. Hier bot sich eine bequeme Abkürzung zur anderen Bucht. Er sprang auf das erste Boot.
Am Rande des letzten Lastkahnes blieb er stehen, um die Entfernung bis zum Landungssteg abzuschätzen. Dann setzte er zum Sprung an, stieß einen halberstickten Schreckensschrei aus und gewann nur mit Mühe sein Gleichgewicht wieder.
Durch das graugrüne Wasser starrte eine Frau zu ihm auf.
In jahrelanger Arbeit am Fluß hatte George viele Ertrunkene gefunden. Doch das hier war etwas anderes. Die Augen blickten durch ihn hindurch, auf die Ewigkeit gerichtet, und aus unerklärlichem Grund empfand er plötzlich Furcht.
Er
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