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Nacht des Flamingos

Nacht des Flamingos

Titel: Nacht des Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Mit gerunzelter Stirn studierte Grant die Meldung. Dann drückte er auf den Knopf der Sprechanlage.
    »Ist Sergeant Miller im Haus?«
      »Ich glaube, er ist in der Kantine«, erwiderte eine unpersönliche Stimme.
    »Lassen Sie ihn bitte rufen.«
      Fünf Minuten später stand Miller vor seinem Vorgesetzten. Er trug einen maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug und ein frisches weißes Hemd. Nur sein Gesicht verriet die Müdigkeit.
      »Ich dachte, Sie hätten heute Ihren freien Tag«, bemerkte Grant.
    »Das dachte ich auch, aber ich muß um zehn zum Gericht, wenn Anklage gegen Macek erhoben wird. Ich werde eine zehntägige Untersuchungshaft beantragen. Das Mädchen muß mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben.«
    Grant tippte auf den Bericht, der vor ihm lag.
    »Das hier gefällt mir gar nicht.«
    »Das Mädchen, das ich aus dem Fluß gezogen habe?«
      »Ja. Sind Sie sicher, daß keinerlei Hinweise auf ihre Identität vorhanden waren?«
      Miller zog einen Briefumschlag aus seiner Jackettasche und brachte ein kleines goldenes Medaillon zum Vorschein, das an einem dünnen Kettchen hing.
    »Das hatte sie um den Hals.«
    Grant nahm die Kette zur Hand.
    »Der heilige Christophorus.«
    »Sehen Sie sich die Rückseite an.«
      Die Gravur war von Meisterhand ausgeführt. ›Für Joanna von Vater – 1955‹. Grant blickte stirnrunzelnd auf.
    »Das war alles?«
      Miller nickte. »Sie trug Strümpfe, die übliche Unterwäsche und ein Kleid mittlerer Preislage, würde ich sagen. Eins ist mir allerdings aufgefallen. Unter dem Firmenetikett muß offensichtlich ein Wäschezeichen mit dem Namen eingenäht gewesen sein. Es war herausgerissen.«
    Grant seufzte schwer.
    »Ist es möglich, daß sie ermordet wurde?«
    Miller schüttelte den Kopf.
      »Bestimmt nicht. Wir konnten keinerlei Spuren von Gewaltanwendung finden.«
    »Das verstehe ich nicht«, meinte Grant. »Selbstmord ist eine Tat der Verzweiflung. Es ist die Tat eines Menschen, der den Kopf verloren hat. Und Sie wollen mich glauben machen, daß dieses Mädchen das Vorhaben mit solcher Kaltblütigkeit plante, daß sie sogar das Wäschezeichen aus dem Kleid herausriß, um ihre Identität zu verbergen?«
    »Das ist die einzige Erklärung.«
      »Und warum hat sie dann das Kettchen nicht auch abgenommen?«
      »Wenn man so ein Schmuckstück Tag für Tag trägt, kann man es leicht vergessen«, versetzte Miller. »Vielleicht hat es ihr aber auch sehr viel bedeutet. Sie war ja Katholikin.«
      »Das ist auch ein Punkt, der mir zu denken gibt. Eine Katholikin, die Selbstmord verübt…«
    »Das soll schon vorgekommen sein.«
      »Ja, aber höchst selten. Ab und zu sind Statistiken und Wahrscheinlichkeitsberechnungen bei unserer Arbeit doch von Nutzen – oder hat man Ihnen das auf der Akademie nicht beigebracht? Was hat uns das Vermißtendezernat denn zu bieten?«
      »Bis jetzt noch nichts«, antwortete Miller. »Und das ist auch nicht weiter verwunderlich. Sie scheint alt genug gewesen zu sein, um auf eigenen Füßen zu stehen. Es wird sich kaum jemand Sorgen machen, wenn sie über Nacht ausbleibt. Ich würde sagen, daß man mindestens zwei Tage abwarten muß. Vielleicht meldet sich dann jemand.«
    »Aber Sie glauben nicht daran?«
    »Sie?«
      Grant blickte wieder auf den Bericht nieder und schüttelte den Kopf.
      »Nein. Ich fürchte, was immer wir über dieses Mädchen in Erfahrung bringen wollen, werden wir selbst ausgraben müssen.«
    »Kann ich die Sache bearbeiten?«
    Grant nickte. »In diesen Fällen ist eine Autopsie zwar nicht unbedingt notwendig, doch ich glaube, ich werde trotzdem eine Obduktion beantragen. Man weiß nie, was dabei herauskommt.«
    Er griff nach dem Telefon.
      Miller kehrte in den Dienstraum zurück und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder. Bis zu seinem Termin vor Gericht hatte er noch eine Stunde Zeit – eine gute Gelegenheit, die dringendsten Schreibarbeiten zu erledigen.
      Doch es war ihm unmöglich, sich zu konzentrieren. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloß die Augen. Ihr Gesicht erhob sich aus der Dunkelheit und schien immer näher zu kommen. Noch jetzt stand der Ausdruck leiser Überraschung in den Augen, der Zug der Verwunderung auf den leicht geöffneten Lippen. Es war, als wollte sie sprechen, als wollte sie ihm etwas sagen. Aber das war unmöglich.
      Gott, war er müde. Er machte es sich in seinem Sessel bequem und nickte ein. Als er genau fünf Minuten vor zehn erwachte,

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