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Nacht des Flamingos

Nacht des Flamingos

Titel: Nacht des Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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fühlte er sich überraschend frisch und ausgeruht. Doch als er hinunterging und den Platz überquerte, waren seine Gedanken nicht bei dem Fall Macek.

    Das städtische Leichenschauhaus befand sich im Rückgebäude des pathologischen Instituts, eines weitläufigen, häßlichen Gebäudes im nachempfundenen gotischen Stil der Viktorianischen Zeit. Drinnen war es dunkel und kühl. Von den grün gekachelten Wänden und dem Linoleumfußboden ging ein schwacher Geruch nach Desinfektionsmitteln aus.
      Jack Palmer, einer der Laboranten, saß an seinem Schreibtisch in dem kleinen Büro am Ende des Korridors. Er drehte sich um und grinste, als Miller in die Tür trat.
    »Haben Sie einen Befund für mich?« fragte Miller.
    »Der alte Murray hat die Obduktion selbst gemacht. Er hatte noch keine Zeit, seinen Befund zu schreiben, aber er wird Ihnen alles sagen können, was Sie wissen müssen.«
      Miller spähte durch die Glaswand in den weißgekachelten Vorraum des Obduktionssaals und erblickte die hochgewachsene, magere Gestalt des Universitätsprofessors für Pathologie. Er trat eben durch die Tür in den Waschraum.
    »Kann ich hineingehen?«
    Palmer nickte. »Bitte.«
      Professor Murray hatte seinen weißen Mantel abgelegt und stand am Waschbecken. Er spülte sich Arme und Hände, als Miller eintrat. Lächelnd blickte er auf.
      »Kaum die richtige Jahreszeit, um schwimmen zu gehen«, bemerkte er mit dem leichten schottischen Akzent, den er seit seiner Jugend nicht losgeworden war. »Schon gar nicht in diesem Abwasserkanal, den wir als Fluß bezeichnen. Ich hoffe doch, daß Sie die nötigen Vorbeugungsmaßnahmen getroffen haben.«
      »Wenn ich mich krank fühle, werde ich nur Sie rufen«, entgegnete Miller. »Das verspreche ich.«
      Murray griff nach einem Handtuch und begann, sich die Hände zu trocknen. »Sie wissen also nicht, wer das Mädchen ist?«
      »Nein. Es ist natürlich möglich, daß sie innerhalb der nächsten Tage als vermißt gemeldet wird.«
    »Aber Sie glauben nicht daran. Darf ich fragen, warum?«
      »Es handelt sich nicht um einen Selbstmord nach dem üblichen Schema. Die Sache fällt ganz aus dem Rahmen. Zunächst einmal spricht alles dafür, daß sie ihr möglichstes tat, um ihre Identität zu verbergen, ehe sie sich tötete.« Er zögerte. »Besteht eigentlich die Möglichkeit, daß sie ermordet wurde? Ich meine, könnte sie vorher vielleicht betäubt worden sein oder so?«
    Murray schüttelte den Kopf.
    »Unmöglich – die Augen waren offen. Trotzdem ist es ein merkwürdiger Zufall, daß Sie von Betäubung sprechen.« »Wieso?«
    »Das will ich Ihnen zeigen.«
      Es war kalt im Seziersaal. Selbst die Desinfektionsmittel vermochten den widerwärtig süßlichen Geruch des Todes kaum zu dämpfen. Die Tote lag auf einer Bahre in der Mitte des Raumes. Ihr Körper war mit einem Gummituch zugedeckt. Murray hob ein Stück des Tuches hoch und zog den linken Arm heraus.
    »Sehen Sie sich das an.«
      Die Einstiche der Nadel waren deutlich sichtbar. Miller runzelte die Stirn.
    »Sie war rauschgiftsüchtig?«
      Murray nickte. »Meine Untersuchungen ergaben, daß sie etwa eine halbe Stunde vor dem Tod eine Injektion erhalten hat, Heroin.«
    »Und wann, meinen Sie, starb das Mädchen?«
      »Lassen Sie mich nachdenken. Sie fanden sie kurz vor sechs, nicht wahr? Ich würde sagen, daß sie ungefähr fünf Stunden im Wasser lag.«
    »Das bedeutet, daß sie um ein Uhr gestorben ist.«
      »Um diese Zeit herum. Ganz genau ist das nicht zu sagen. Es war eine kalte Nacht.«
    »Sonst noch etwas?«
      »Was soll ich Ihnen noch sagen? Sie war ungefähr neunzehn Jahre alt, gut genährt. Meiner Meinung nach ist sie in einem Zuhause aufgewachsen, wo sie keinen Mangel leiden mußte.«
    »War sie unberührt?«
      »Im Gegenteil – im zweiten Monat schwanger.« Er schüttelte den Kopf und fügte trocken hinzu: »Eine junge Frau, die auf dem Gebiet der Erotik nicht unerfahren war.«
    »Und ihre Kleider?«
      »Die habe ich einem Ihrer Beamten von der Spurensicherung mitgegeben. Er wollte das übliche haben. Haarmuster und so weiter.«
      Miller trat auf die andere Seite der Bahre, blieb zögernd stehen und zog dann das Gummituch zurück, um das Gesicht zu enthüllen. Murray hatte die Augen des Mädchens zugedrückt. Sie sah ruhig und friedlich aus. Die Haut war glatt und farblos.
      Behutsam schlug Murray das Tuch wieder hoch. Sein Gesicht war bekümmert.
      »Ich glaube, sie hat sehr

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