Nacht des Ketzers
den Mund bekam er ein Lederband, das verhindern sollte, dass er sich die Zunge abbiss. Ein Eimer mit Wasser war ebenso bereitgestellt, sollte der Delinquent in Ohnmacht fallen und so von der Folter vielleicht gar nichts mitbekommen.
Als die Vorbereitungen beendet waren, tranken die beiden Folterknechte aus einem Tonkrug. Erst nach dem lautstarken Protest der beiden Wachen reichten sie auch ihnen den Krug. Der Schnapsgeruch raubte Giordano fasst die Sinne. Ja, wenn sie nur weg wären, die Sinne. Was seine Mutter jetzt wohl gerade machte? Ob sie mit den Nachbarinnen vor dem Haus saß? Vielleicht aßen sie gerade gemeinsam zu Abend? Ein Ruck und ein stechender Schmerz durchfuhren ihn vom Hals bis zu den Lendenwirbeln. Giordano zwang sich, weiter an Nola zu denken. Was wohl aus den Jungen geworden war, die er unterrichtet hatte? Vermutlich würden fast alle weiter in den landwirtschaftlichen Betrieben ihrer Eltern arbeiten. Ob der ein oder andere verstanden hatte, was er ihnen hatte sagen wollen? Noch ein Ruck. Der Gefangene hob den Kopf, starrte wie irr die beiden Wachen an, hörte nichts mehr, sondern sah nur, dass sie sich köstlich amüsierten. Noch ein Ruck. Der Schmerz wurde unerträglich. Ganz langsam wurden seine Sehnen gedehnt. Noch ein Ruck. Die Arme wurden aus den Schulterpfannen gezogen. Einer der beiden Folterknechte, der die Seilwinde am Kopfende der Streckbank betätigte, stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Giordano spürte, wie ihn tausend Blitze gleichzeitig durchfuhren.
Nach und nach und ohne dass der Gefolterte es merkte, füllte sich der Keller mit Mitgliedern des Offiziums. Beccaria und Bellarmin kamen als letzte. Den Schnapsgeruch ignorierten sie. Der Kardinal beugte sich über Giordano und machte mit weit ausholender Geste ein Kreuzzeichen über dem ausgestreckten Körper.
„Widerrufst du, Bruder Giordano, deine ketzerischen Worte gegen unseren Allmächtigen Gott, gegen die Heilige Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligen Geist?“ Bellarmin sprach die Worte langsam und feierlich. Giordano schüttelte trotz der unerträglichen Schmerzen angewidert den Kopf. Der Speichel floss in Strömen, rann über seine Lippen.
Wenn sie ihm keinen Knebel verpasst hätten, hätte er dem ekligen Pfaffen ins Gesicht gespuckt. Auf ein Zeichen des Kardinals wurde das Rad der Streckbank noch einmal ein Stück weitergedreht.
„Bruder Giordano, im Namen der heiligen römisch-katholischen Kirche, lass ab von deinem ketzerischen Tun!“
Giordano spürte, wie seine Kniegelenke auseinandergezogen wurden. Abermals schaffte er es, den Kopf zu schütteln. Verdeckt vom Kardinal und Beccaria machte sich einer der Folterknechte daran, eine Eisenzange im offenen Feuer zum Glühen zu bringen. Noch einmal wurde das Rad weitergedreht. Der Gefangene hoffte auf die erlösende Ohnmacht. Seine Mutter sollte ihn in den Arm nehmen und trösten, wie sie es so oft gemacht hatte, wenn er sich als kleiner Junge beim Spielen mit den anderen Kindern die eine oder andere Blessur zugezogen hatte. Meist hatte sie ihn gewiegt und ihm leise ein Lied vorgesummt. Er spürte, wie sie seine Hand hielt. Bedächtig streichelte. Es tat gut zu wissen, dass sie da war. In der Nähe, ihn vor dem Bösen zu schützen. Doch das Streicheln ging in einen brennenden Schmerz über, der stärker und stärker wurde. Statt seiner Mutter roch er die milchig süßen Körperausdünstungen Beccarias. Er konnte ihn nicht sehen, wusste aber um seine Anwesenheit, ahnte, dass er es war, der seine Hand hielt. Der Schmerz war, als ob zehntausend Nadeln in seinen Finger stachen. Ganz langsam, ohne eine einzige ruckartige Bewegung, wurde der Nagel seines Mittelfingers aus seinem Bett gezogen.
Alle Sehnen waren nun bis aufs äußerste gestreckt und kurz davor zu reißen. Die Knochen waren aus den Gelenken gesprungen. Der Speichel rann über die Lippen, er konnte nicht schlucken.
Manchmal hatte ihn sein Vater mit auf den Monte Cicala genommen. Von dort konnte Giordano den ganzen Golf von Neapel überblicken. Capri, Ischia. Wenn sie spätabends den Weg nach Hause antraten, sah er die Sterne im Meer versinken. Den Mond. Alles war in Bewegung. Der nahe Vesuv, umhüllt von Wolken, schien ihm ein unerreichbares Ziel. Was mochte wohl dahinter sein? Sein Vater hatte ihm viel von fernen Ländern erzählt, die er als Soldat bereist hatte. Wo er für Geld Menschen getötet hatte, die er nicht kannte und deren Sprache er nicht einmal verstand. Doch das musste so sein. Wenn er es
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