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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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zur nahen Universität zu eilen.
    Voller Ehrfurcht betrat er das imposante Gebäude, durchquerte eine große Halle und kam so in den großräumigen Innenhof. Über einige Treppen gelangte man zum Eingang der Universitätskapelle, deren Vordach von sechs Säulen gestützt wurde und deren großräumige Kuppel den Bau dominierte. Der Eingang zum Kollegium lag direkt gegenüber. Ohne zu zögern, eilte Giordano zum Rektorat, um seine Dienste als Lehrender anzubieten. Er klopfte an die große, schwere, mit reichlich Ornamenten verzierte Eichentür und betrat den Raum, in dem ein älterer Herr gebückt vor seinem Schreibpult stand. Der Mann schien offensichtlich überrascht ob des Besuches. Er trug eine dieser neuartigen Brillen, die man an der Nase festklemmen konnte und über die er nun Giordano fragend ansah. Der Raum war dank der überaus großen Fenster lichtdurchflutet. Giordano sah überall Stapel mit Skripten, Büchertürme drohten einzustürzen. Schreibgeräte aller Art waren fein säuberlich auf Kathedern geschichtet: Federkiele und Tintenfässer in unterschiedlichen Größen. In einem Regal im hinteren Teil des Raumes befanden sich ausgestopfte Tiere und Reptilien in Gläsern. Das Modell eines Segelschiffes thronte darüber. Ein Globus von etwa einem Meter Durchmesser in einem Holzgestell nahe dem Fenster wurde von einer furchterregenden Holzskulptur bewacht. Die Skulptur trug mehrere grimmig dreinblickende Köpfe übereinander. Den letzten Kopf zierten Adlerflügel. Giordano hatte so etwas noch nicht gesehen. Die Figur war grell bemalt und hätte sicher so manches fromme Bäuerlein in die Flucht geschlagen, wenn er es zu Gesicht bekommen hätte.
    „Totempfahl.“
    Giordano sah den älteren Mann mit großen Augen an. Erst jetzt merkte er, dass sein Gegenüber eine schwarze Samthose, Kniestrümpfe – vermutlich aus Seide –, glänzende Lederschuhe und einen ebenfalls schwarzsamtenen Gehrock trug. Er schien kein armer Gelehrter zu sein, der sich hierher verirrt hatte.
    „Ein Totempfahl“, wiederholte der Mann mit sonorer Stimme, die aus seinem runden, sich über den breiten, den Gehrock schließenden Ledergürtel wölbenden Bauch zu kommen schien.
    „Ich verstehe nicht“, stammelte Giordano verlegen.
    Der Mann, der etwa fünfzig Jahre alt sein mochte, lachte dröhnend.
    „Das ist ein Totempfahl, junger Mann. Ein Geschenk an unsere Majestät König Heinrich aus der Neuen Welt, das er dankenswerterweise der Universität zu Forschungszwecken vermacht hat.“
    „Was ist das, ein Totempfahl?“
    „Wie wäre es, wenn Ihr Euch erst einmal vorstellt?“
    Der Alte blickte streng über seine Brille hinweg, um so den Jüngeren auf sein ungehöriges Benehmen aufmerksam zu machen.
    „Oh, pardon, selbstverständlich, verzeiht. Mein Name ist Giordano Bruno aus Nola.“
    „Was will denn Giordano Bruno aus Nola hier an unserer ehrwürdigen Universität?“
    „Euch meine Dienste anbieten, mein Herr.“
    „Oha, glaubt er, er kann hier einfach hereinspazieren und um eine Anstellung bitten?“
    „Nein, das glaubt er nicht“, gab Giordano trotzig zurück, „er weiß nur, dass er der Universität von großem Nutzen sein kann.“
    Der Alte stutzte. Solche Widerworte hatte er selten gehört. Aber der kecke Bursche gefiel ihm.
    „Ich kann Eure Studenten in Astronomie, Astrologie, Philosophie, Theologie und in …“ Giordano zögerte etwas.
    „In …?“
    „In Gedächtniskunst unterrichten.“
    „So, so, Gedächtniskunst, und was soll das sein, Eure Gedächtniskunst?“
    Zwar hatte der Alte schon einiges darüber gehört, doch er wollte Genaueres darüber in Erfahrung bringen.
    „Ihr kennt doch sicher Meister Lullus …“ Nun war Giordano in seinem Element. In einem nicht enden wollenden Redeschwall erklärte er, was er sich in den vergangenen Jahren an Wissen über die Kunst des Memorierens angeeignet hatte. Irgendwann winkte der alte Mann ermattet von der Fülle an Informationen ab.
    „Wann könnt Ihr anfangen?“
    „Anfangen?“ Giordano hatte schon intelligenter dreingesehen.
    „Na, hier bei uns, als Lehrender an der Sorbonne.“
    Die Augen weit aufgerissen, gelangte er langsam wieder in die Realität zurück.
    „Heißt das …“ Er hielt kurz inne, wagte nicht, weiter zu fragen. Freudig erregt erhöhte sich sein Pulsschlag.
    Der Alte lachte gutmütig.
    „Ja, das bedeutet, ich stelle Euch als Lehrenden bei uns ein. Das heißt …“, er hob mahnend die Hand, „natürlich nur, wenn das Kollegium

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