Nacht des Ketzers
das Publikum zu Lachstürmen hingerissen. Nun kroch er auf allen vieren vor der Monarchin, das lange Haar hing wirr links und rechts von seinem Kopf. Auf der Stirnglatze standen Schweißperlen. Seinen Gehrock hatte er geöffnet, auf seinem Leinenhemd zeichneten sich Schweißflecken ab.
„Bravo, bravo!“
Walsingham hatte den Raum betreten und sah die letzten akrobatischen Verrenkungen des Künstlers, denen er nun applaudierte. Auch er war von dessen Talent angetan und genoss die Abwechslung, die ihm die Darbietungen der Schauspieltruppe immer wieder bot.
„Wie geht es der Frau Gemahlin? Wie man hört, wird sie bald niederkommen.“
„Ja, das ist richtig, Mylord. Bald wird unser erstes Kind das Licht der Welt erblicken.“
Williams Frau Anne war rasch nach der Hochzeit schwanger geworden, ein Umstand, der den Dichter noch mehr in seiner Arbeit beflügelt hatte. Er schrieb ganz seiner Gemütslage entsprechend heitere Stücke und Gedichte und traf damit den Nerv des Publikums, das erheiternde Abwechslung suchte, da man allerorts die Angst vor einer möglichen spanischen Invasion spürte.
„Er kann jetzt gehen.“ Elisabeth bedankte sich bei Shakespeare, wollte nun aber mit Walsingham allein sein.
Der Dichter zog sich zurück. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wandte sich die Königin an ihren Berater.
„Bringt Ihr Neuigkeiten, Mylord?“
„Wir haben zwei Spione gefasst. Sie stammen aus Italien. Unter der Folter haben sie ausgesagt, sie seien im Auftrag des Papstes gekommen, um Euch zu ermorden.“
„Das ist nun bereits das vierte Mal in diesem Monat.“ Elisabeth sah betroffen zum Fenster hinaus. Ihr Blick blieb an einer kleinen Gruppe Kinder hängen, die im nahen Park unbekümmert spielten.
„Es scheint, als würde das katholische Europa alles daransetzen, mich aus dem Weg zu räumen.“
„Exzellenz, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich vermute, Maria Stuart steckt hinter den Anschlägen.“
„Ja, ja, Maria.“ Elisabeth nickte mehrmals und sah dann wieder den spielenden Kindern zu. Nie hatte ihre Schwester Maria es verwunden, dass Elisabeth ihr in der Thronfolge vorgezogen worden war. Sie sah sich immer noch als die eigentliche Herrscherin Englands. Durch ihre frühere Ehe mit dem französischen Thronfolger Franz II. hatte sie immer noch beste Verbindung nach Europa. Da sie sich aber mit ihrer Schwiegermutter, Katharina von Medici, überworfen hatte, hatte sie nach Franz’ unerwartet frühem Tod das Land wieder verlassen müssen und war nach Schottland zurückgekehrt.
Walsingham, Mitglied des House of Commons, hatte in den vergangenen Jahren ein weitreichendes Spionagenetz aufgebaut, so dass er frühzeitig informiert war, wenn ein Anschlag auf seine Königin geplant wurde. Er gehörte gemeinsam mit Sir Walter Raleigh und Sir Francis Drake zum engsten Vertrautenkreis der Königin. Er hatte in Padua Rechtswissenschaften studiert und war von seiner Königin nach Paris gesandt worden, um die Hugenotten bei ihren Verhandlungen mit dem französischen Königshaus zu unterstützen. Seine Erfahrungen während der Bartholomäusnacht hatten ihn geprägt, als vor der Verfolgung Flüchtende spätnachts an sein Tor klopften, um in seinem Haus Unterschlupf zu finden, er aber nur eine beschränkte Anzahl aufnehmen konnte und viele in den sicheren Tod schicken musste. Er wusste auch, dass Maria Stuart ihrer Widersacherin nach dem Leben trachtete und dass sie über viele starke Verbündete im katholischen Lager in ganz Europa verfügte. Solange sie am Leben war, war seine Königin in ständiger Gefahr. Nur ihr Tod konnte Elisabeth von dieser Seite Sicherheit gewährleisten, zumal die noch viel größere Gefahr für das Reich im Süden in Person des spanischen Königs Philipp II. lauerte.
Walsingham bekam wöchentlich Berichte von seinen Agenten, die sich in Spanien aufhielten, und war so bestens über den Fortschritt des Ausbaus der spanischen Flotte unterrichtet. Philipp war mit der englischen Königin Maria Tudor verheiratet gewesen, die, da kinderlos geblieben, von ihrer Halbschwester Elisabeth I. abgesetzt worden war. Im Volk trug sie den Beinamen „Bloody Mary“, da sie sich besonders bei der Verfolgung und Hinrichtung britischer Protestanten hervorgetan hatte. Nach ihrem Tod hatte Philipp versucht, sich an Elisabeth heranzumachen. Elisabeth war über seine Avancen empört gewesen und hatte ihn wissen lassen, dass sie niemals auch nur daran denke, seine Ehefrau zu werden. In
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