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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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Kerzenzieher fertigstellen.

Kapitel 55
    11. September 1599
     
    Giordano war nach der letzten Folter nur langsam genesen. Zwar hatten die von der Inquisition beauftragten Ärzte ihre gesamte Kunst aufgebracht, doch die Wunden waren zu tief gewesen, und so hatte er über Wochen und Monate vor sich hin gedämmert. Er war kaum fähig, Nahrung aufzunehmen, und die ersten Woche nach der Tortur erbrach er sie sofort wieder, oder sie rann dünnflüssig und übel riechend wieder aus ihm heraus. Durch ein mit Gitterstäben versehenes Guckloch in der Kerkertür beobachtete Kardinal Bellarmin ihn eine Weile. Er sah, dass der Ketzer bei Bewusstsein war, obwohl er apathisch in eine Ecke starrte. Was mochte in diesem Gehirn nur vor sich gehen? Warum nur nahm er das Angebot der Kirche nicht an, widerrief und bereute dann seine Sünden im Kreise seiner Mitbrüder in einem Kloster? Warum nur? Bellarmin konnte ihn nicht verstehen. Er musste doch wissen, dass seine Beharrlichkeit den sicheren Tod bedeuten würde.
    Nach dem neuen Kalender war es bald Neujahr. Es war feucht und kalt im Kerker. Bellarmin befahl den Wachen, Giordano eine Decke zu bringen. Tod in der Haft oder unter Folter war das Schlimmste, was ihnen passieren konnte. Dann war das Opfer umsonst gestorben, konnte nicht als mahnendes, abschreckendes Beispiel für die anderen dienen, die sich mit ketzerischen Gedanken trugen. Als Giordano wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte man sogar seiner Bitte Folge geleistet, ihm einen Tisch, einen Stuhl, Papier und Tinte in die Zelle zu bringen. Auch Kerzen gab es nun. In ihrem schwachen Licht konnte der Kardinal die bleiche Haut, die sich um Kiefer- und Wangenknochen spannte, erkennen. Der einstmals große, stattliche Mann war bis auf das Skelett abgemagert. Haar und Bart waren unregelmäßig geschnitten, und der Reihe nach begannen ihm bereits Zähne auszufallen. Eine Schleimkruste zog sich vom rechten Nasenloch bis zur Oberlippe. Der Blick war glasig, und er atmete stoßweise. Keine der Zeilen, die er in den wenigen Stunden, die er einigermaßen bei Kräften war, zu Papier gebracht hatte, enthielt ein Wort des Bedauerns oder gar des Widerrufs. Bellarmin sah noch einmal in das leere, ausdruckslose Gesicht des Sünders und erkannte, dass es wohl kaum noch Hoffnung für ihn gab.
     
    ***
     
    Beccaria schien bereits auf Bellarmins Besuch gewartet zu haben. Auch er hatte Schreibzeug erhalten und hatte mittlerweile eine große Anzahl an Widerrufen verfasst. Er grüßte wie jedes Mal untertänig Richtung Tür und tat dann so, als würde er eifrig seine Sünden zu Papier bringen. Der Kardinal wusste nur zu gut, dass Beccaria alles tun würde, um nicht noch einmal gefoltert zu werden und der drohenden Hinrichtung zu entgehen. Er betete fleißig, zeigte sich kooperativ, wo er nur konnte. In einem seiner Schreiben hatte er della Mirandola der Mitwisserschaft an der geplanten Ermordung des Kardinals beschuldigt. Diesen Vorwurf aber, nachdem man ihm gedroht hatte, die Wahrheit mittels Folter herausfinden zu wollen, rasch wieder fallengelassen. Immer mehr ritt er sich durch seine kläglichen Verteidigungsversuche in sein Unglück. Längst war klar, dass eine Begnadigung für ihn kaum mehr in Frage kam. Der Kardinal hatte längst mit dem Papst vereinbart, dass die Scheiterhaufen im Rom zur Verteidigung des wahren Glaubens und der heiligen katholischen Kirche bald wieder brennen würden.

Kapitel 56
     
    Elisabeth hielt sich den Bauch vor Lachen, als ihr Shakespeare einige Szenen aus einer seiner neuen Komödien vorspielte. Sie schätzte den Dichter sehr, auch wenn er manchmal etwas ins Derbe abglitt, und wusste, dass ihre Untertanen ihn verehrten. Erst kürzlich war sie mit einer ihrer Zofen heimlich und verkleidet in ein Theater nahe dem Königshof geschlichen, um zu erleben, wie ausgelassen und fröhlich das Volk Shakespeares Stücke feierte. Ja, feiern war das richtige Wort. Denn anders als bei den Aufführungen im Palast, wo der Hofstaat stocksteif in Reih und Glied hinter ihrem Rücken saß oder stand, tanzten die Menschen ausgelassen zu den Versen, aßen und tranken oder zogen sich zu zweit in dunkle Ecken zurück, animiert von anzüglichen Textpassagen, und vergaßen die Welt rings um sich herum. Der Geruch von Bier und gebratenem Hammelfleisch verfolgte sie noch lange nach dem Besuch einer solchen Aufführung, und es war eine gute Gelegenheit, unerkannt mehr über ihre Untertanen zu erfahren. Der Dichter selbst hatte mitgespielt und

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