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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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ihm, als brenne die Kathedrale. Ihm war schwindlig. Er musste die Augen schließen und sich an einer Bankreihe festhalten. Giordano atmete mehrmals tief aus und ein und verließ dann raschen Schrittes das Gotteshaus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Eine strahlende Abendsonne empfing ihn und ließ ihn die düsteren Gedanken sofort wieder vergessen. Er lenkte seine Schritte Richtung Montparnasse, dorthin, wohin ihm Monsieur de Castelnau geraten hatte zu gehen, falls es ihn einmal nach Abwechslung gelüste. Abwechslung konnte er nun gut gebrauchen.

Kapitel 62
     
    Nervös wartete Giordano am Haupteingang des Palais. Es war kurz vor neun Uhr morgens. Eigentlich war er sicher, dass viele Interessierte zu seiner Vorlesung kommen würden, doch je mehr Zeit verstrich, umso mehr Zweifel beschlichen ihn. Sein Ausflug auf den Montparnasse war eine große Enttäuschung gewesen. Die halbe Nacht hatte er wachgelegen und sich einen feigen Esel gescholten. Doch galt seine volle Konzentration den Dingen, die da kommen würden. Er hörte Lärm, Stimmen ... endlich. Erleichterung. Doch es war nur einen Gruppe Pilger auf dem Weg Richtung Notre Dame. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. Er wusste, dass Monsieur de Coreur irgendwo hinter einem Fenster ebenso gespannt wie er darauf wartete, wie viele Studenten seine Vorlesung besuchen würden, ging es ihm doch auch nicht zuletzt um seinen Anteil an den Einnahmen. Neun Uhr war verstrichen. Nichts. Nochmals Lärm. Diesmal ein Karren mit Gefangenen, die zur Bastille gebracht wurden.
    „Unglückselige“, dachte Giordano und wandte sich enttäuscht um, um ins Innere des Palais zu gehen. Da hörte er seinen Namen rufen.
    „Monsieur Bruno!“
    Ein junger Bursche, etwa achtzehn Jahre alt, sein Barett in der Rechten, eine Mappe in der Linken, kam auf ihn zugelaufen.
    „Monsieur Bruno, hier seid Ihr also.“
    Der Junge blieb keuchend knapp vor Giordano stehen. Der Gelehrte hob die Augenbrauen und sah den jungen Mann fragend an.
    „Monsieur, wir … Eure …“ Er stotterte.
    „Ja?“ Giordano wurde ungeduldig. Wenn schon niemand seine Vorlesung hören wollte, so wollte er keinesfalls hier auf der Straße seine Zeit vergeuden.
    „Monsieur, Eure Studenten. Sie warten alle in der Rue St. Germain Nummer 24.“
    „Ja?“ Giordano verstand nicht.
    „Dies hier ist die Rue St. Germain Nummer 34.“
    Erst jetzt wurde dem Gelehrten klar, was geschehen war.
    „Rasch, lauft, bringt sie zu mir. Die Vorlesung wird hier stattfinden.“
    Etwa achtzig bis neunzig Studenten kamen gleich darauf ausgelassen und voller Erwartung dessen, was sie zu hören bekommen würden, die Straße herauf. Giordano nahm sie in Empfang und kassierte von jedem einen Franc. Monsieur de Coreur rieb sich hinter dem Fenster zufrieden die Hände. Hatte er es doch gewusst, dass er seine Räumlichkeiten dem Richtigen zur Verfügung stellte! Mit ein paar Nachzüglern war der Saal brechend voll. Einige, die um fast zwanzig Minuten zu spät kamen, musste Monsieur de Coreur schweren Herzens abweisen. Aber er wusste, dass, wenn Monsieur Bruno seine Sache gut machte, und davon ging er aus, bald die ganze Stadt über ihn sprechen würde, und dann würde man sich vor zahlungswilligen Neugierigen nicht mehr retten können.
    Es geschah wie erwartet. Giordano war der neue Stern am Himmel der Pariser Wissenschaft, argwöhnisch beobachtet von den Professoren der Sorbonne, die es ihm nicht nur übelnahmen, dass er hochnäsig ihr Angebot, einer der ihren zu werden, ausgeschlagen hatte, sondern auch, weil sie um ihre Extraeinnahmen, die sie durch Privatvorlesungen erzielten, bangten. Etliche Wochen vergingen, und Giordano und Monsieur de Coreur hatten bereits ein kleines Vermögen angehäuft. Studenten von umliegenden Universitäten, Theologen, Philosophen, sie alle lauschten gebannt den Ausführungen des Italieners. Nur der König hatte sein Interesse an seinen Privatvorlesungen rasch wieder verloren. Zum einen war er des Studierens wieder überdrüssig und frönte einmal mehr den orgiastischen Ausschweifungen, zum anderen hatte er rasch eingesehen, dass Giordanos Wissenschaft nichts mit Magie zu tun hatte, und so verzichtete er immer häufiger auf die Privatvorträge des mittlerweile stadtbekannten Philosophen. Auch wollte er vor dem Kollegium der Universität seine Ruhe haben, das ihn, wann immer dazu Gelegenheit war, von der Notwendigkeit überzeugen wollte, den Störenfried wieder loszuwerden und so die Unruhe, die auch ihre

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