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Nacht des Orakels

Nacht des Orakels

Titel: Nacht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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weiß es nicht genau.»
    «Und was soll geschehen, wenn sie Jacob gefunden haben?»
    «Er soll eine Entziehungskur machen.»
    «So was ist nicht billig. Wer soll das finanzieren?»
    «Ich natürlich. Eleanor schwimmt in Geld, aber sie ist so ungeheuer geizig, die würde ich niemals danach fragen. Erst luchst der Junge mir dreitausend Dollar ab, und jetzt muss ich schon wieder was ausspucken, damit er clean wird. Wenn du die Wahrheit wissen willst: Ich könnte ihm den Hals umdrehen. Du kannst von Glück sagen, dass du keine Kinder hast, Sid. Wenn sie klein sind, sind sie wunderbar, aber später brechen sie einem das Herz, und du bist nur noch unglücklich. Ein Meter fünfzig, danach ist Schluss. Es müsste verboten sein, dass sie noch größer werden.»
    Nach Johns letzter Bemerkung konnte ich mich nicht mehr zurückhalten, ihm meine Neuigkeit zu erzählen. «Kann sein, dass ich nicht mehr lange kinderlos bin», sagte ich. «Wir wissen noch nicht genau, was wir machen sollen, aber fürs Erste ist Grace jedenfalls schwanger. Das Testergebnis hatte sie schon am Samstag.»
    Ich konnte nicht wissen, wie John darauf reagierenwürde, aber selbst nach seinen bitteren Äußerungen über die Qualen der Vaterschaft nahm ich an, er werde mir in irgendeiner Form, wenn auch noch so mechanisch, dazu gratulieren. Oder mir wenigstens alles Gute wünschen und mich ermahnen, es besser zu machen als er. Irgendetwas musste er schließlich sagen. Aber John blieb stumm. Zuerst wirkte er betroffen, als habe er soeben vom Tod eines ihm sehr nahe stehenden Menschen erfahren, dann wandte er sich von mir ab, drehte plötzlich den Kopf auf dem Kissen zur Seite und starrte die Sofalehne an.
    «Die arme Grace», sagte er.
    «Warum sagst du das?»
    John drehte sich langsam wieder um, unterbrach aber diese Bewegung, als sein Profil parallel zum Kissen lag, und als er dann sprach, hielt er den Blick an die Decke gerichtet. «Ich muss nur daran denken, was sie alles durchgemacht hat», sagte er. «Sie ist nicht so stark, wie du denkst. Sie muss sich mal ausruhen.»
    «Sie wird genau das tun, was sie will. Die Entscheidung liegt allein bei ihr.»
    «Ich kenne sie viel länger als du. Ein Kind ist das Letzte, was sie jetzt brauchen kann.»
    «Falls sie sich für das Kind entscheidet, hatte ich eigentlich vor, dich zu fragen, ob du Pate stehen willst. Aber wenn ich dich so höre, nehme ich an, du bist nicht interessiert.»
    «Du darfst sie nicht verlieren, Sidney. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Wenn eure Beziehung zerbricht – das wäre für sie eine Katastrophe.»
    «Unsere Beziehung zerbricht aber nicht. Und ich werde sie nicht verlieren. Aber selbst wenn – was geht dich das an?»
    «Grace geht mich etwas an. Sie ging mich immer etwas an.»
    «Du bist nicht ihr Vater. Mag sein, dass du dich manchmal dafür hältst, aber du bist es nicht. Grace kommt gut allein zurecht. Wenn sie sich für das Kind entscheidet, werde ich sie nicht davon abhalten. Im Gegenteil, ich würde mich darüber freuen. Ein Kind mit ihr zu haben, das wäre so ziemlich das Beste, was mir jemals passieren könnte.»
    Noch nie waren John und ich so kurz davor gewesen, uns ernsthaft zu streiten. Es war ein beklemmender Augenblick, und während meine letzten Worte herausfordernd in der Luft hingen, fragte ich mich, ob das Gespräch womöglich eine noch hässlichere Wendung nehmen würde. Zum Glück aber brachen wir beide ab, ehe die Sache weiter eskalieren konnte, denn wir spürten, wir waren drauf und dran, einander zu Äußerungen zu verleiten, die wir hinterher bedauern würden – und die sich nie mehr aus dem Gedächtnis würden löschen lassen, ganz gleich wie sehr wir uns dafür entschuldigen würden, wenn wir uns erst wieder abgekühlt hätten.
    Sehr klug wählte John diesen Moment, um das Bad aufzusuchen. Als ich sah, wie mühsam er sich vom Sofa wälzte und dann durchs Zimmer humpelte, war meine feindselige Stimmung mit einem Schlag verflogen. Er lebte unter extremen Einschränkungen. Das Bein brachte ihn um, die furchtbaren Nachrichten von seinem Sohn machten ihm zu schaffen: Wie konnte ich ihm da ein paar harte Worte übel nehmen? Jacob hatte ihn hintergangen und war womöglich drogensüchtig, und verglichen damit war Grace das innig geliebte gute Kind, das ihn noch nie enttäuscht hatte, und vielleicht war das der Grund, warum John sie so resolut verteidigt und sich in Dinge eingemischthatte, die ihn im Grunde nichts angingen. Er war wütend auf seinen Sohn, ja,

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