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Nacht des Orakels

Nacht des Orakels

Titel: Nacht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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eine Metapher für die nackte Haut unter ihren Kleidern, eine Hommage an ihren herrlichen, innig geliebten Körper. Jetzt, unmittelbar nach der Ankündigung, dass sie die Schwangerschaft nicht abbrechen wolle, hatte sie die mythische Gestalt der Miss Virginia wieder belebt, und mit der Gegenüberstellung dieser beiden Aussagen sagte sie mir, dass sie wieder die Meine war, die Meine wie früher, und doch auch auf andere Weise die Meine: sie gab mir damit subtil (wie nur sie es konnte) zu verstehen, dass sie bereit war, in die nächste Phase unserer Ehe einzutreten, dass eine neue Epoche unseres gemeinsamen Lebens bevorstand.
    Ich verzichtete auf die Kraftprobe, die ich mir für diesen Abend vorgenommen hatte, und stellte ihr keine einzige Frage über ihre Abwesenheit Mittwochnacht. Wir taten alles, was sie mir auf dem Anrufbeantworter angekündigt hatte, wälzten uns auf dem Boden, kaum dass sie die Wohnung betreten hatte, und zerrten uns halb ausgezogen zum Schlafzimmer, in das wir aber gar nicht erst gelangten. Später, nachdem wir unsere Morgenmäntel übergeworfen hatten, machten wir im Backofen das Essen warm und nahmen eine späte Mahlzeit ein. Ich zeigte ihr den neuen Toaster, mit breiten, für Bagels geeigneten Schlitzen; das brachte uns noch einmal auf das traurige Thema des Einbruchs, mit dem wir jedoch nicht weit kamen, weil ich plötzlich Nasenbluten bekam und dicke Tropfen auf dem Aprikosentörtchen landeten, das Grace mir gerade zum Nachtisch hingestellt hatte. Sie stand hinter mir am Waschbecken, während ich mit nach hintengelegtem Kopf wartete, dass es aufhörte: sie hielt mich in den Armen, küsste mich auf Schultern und Hals und machte dabei lustige Vorschläge, wie wir unser Kind nennen könnten. Wenn es ein Mädchen wäre, wollten wir es Goldie Orr nennen. Ein Junge sollte nach einem Buch von Kierkegaard Ira Orr genannt werden. Wir waren albern vor Glück an diesem Abend, und ich konnte mich nicht erinnern, dass Grace in ihrer Zuneigung zu mir jemals so ausgelassen und überschwänglich gewesen wäre. Als mir das Blut endlich nicht mehr aus der Nase strömte, drehte sie mich herum und wusch mir das Gesicht mit einem feuchten Lappen, und während sie mir Mund und Kinn abtupfte, bis auch die letzten Spuren beseitigt waren, sah sie mir die ganze Zeit in die Augen. «Die Küche räumen wir morgen auf», sagte sie. Und ohne ein weiteres Wort nahm sie mich bei der Hand und führte mich ins Schlafzimmer.

 
    Am nächsten Morgen schlief ich lange, und als ich mich gegen halb elf aus dem Bett wälzte, war Grace schon lange fort. Ich ging in die Küche, nahm meine Tabletten und setzte Kaffee auf, und dann räumte ich in aller Ruhe die Sachen weg, die wir am Abend zuvor liegen gelassen hatten. Zehn Minuten nachdem ich den letzten Teller in den Schrank gestellt hatte, rief Mary Sklarr an. Sie hatte schlechte Neuigkeiten. Bobby Hunters Leute hatten mein Treatment gelesen und nicht für gut befunden.
    «Tut mir Leid», sagte Mary, «aber ich werde nicht so tun, als sei ich schockiert.»
    «Schon gut», sagte ich weniger gekränkt, als ich vermutet hätte. «Die ganze Idee war Mist. Ich bin froh, dass die’s nicht haben wollen.»
    «Die fanden das Ganze zu intellektuell.»
    «Ich staune, was für Wörter die kennen.»
    «Freut mich, dass du dich nicht aufregst. Das wäre es auch nicht wert.»
    «Ich wollte das Geld, sonst nichts. Ein Fall von reiner Habgier. Ich habe mich nicht mal besonders professionell verhalten, oder? Ohne Vertrag sollte man keine Zeile schreiben. Das ist die erste Regel in unserem Geschäft.»
    «Na ja, es hat sie schon
ziemlich
verblüfft. Allein das Tempo. Einen solchen Übereifer sind die nicht gewohnt. Die wollen am liebsten erst mal lange mit Anwälten und Agenten debattieren. Dann haben sie das Gefühl, sie täten etwas Bedeutsames.»
    «Ich verstehe immer noch nicht, wie die auf mich gekommen sind.»
    «Irgendjemand dort mag deine Bücher. Vielleicht Bobby Hunter, vielleicht das Mädchen, das die Post sortiert. Wer weiß? Auf jeden Fall werden sie dir einen Scheck schicken. Als Zeichen ihres guten Willens. Du hast das ohne Vertrag geschrieben, aber sie wollen dich für den Zeitaufwand entschädigen.»
    «Einen Scheck?»
    «Bloß ein symbolischer Betrag.»
    «Wie viel?»
    «Tausend Dollar.»
    «Na, das ist doch schon mal was. Das erste Geld, das ich seit langer Zeit verdient habe.»
    «Du vergisst Portugal.»
    «Ah, Portugal. Wie habe ich Portugal nur vergessen

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