Nacht des Orakels
können?»
«Gibt’s was Neues über den Roman, den du schreiben oder auch nicht schreiben willst?»
«Nicht viel. Ein Teil davon lässt sich vielleicht noch verwerten, aber ich bin mir nicht sicher. Ein Roman innerhalb des Romans. Ich denke ständig darüber nach, das könnte immerhin ein gutes Zeichen sein.»
«Gib mir fünfzig Seiten, und ich besorge dir einen Vertrag, Sid.»
«Ich bin noch nie für ein Buch bezahlt worden, das noch nicht fertig war. Was ist, wenn ich Seite einundfünfzig nicht schreiben kann?»
«Wir leben in schlimmen Zeiten, mein Lieber. Wenn du Geld brauchst, versuche ich dir welches zu besorgen. Das ist mein Job.»
«Lass mich drüber nachdenken.»
«Du denkst nach, und ich warte. Wenn du mich anrufen willst, ich bin hier.»
Nachdem wir aufgelegt hatten, ging ich ins Schlafzimmer, um meinen Mantel aus dem Schrank zu holen.
Die Zeitmaschine
war offiziell für tot erklärt, also musste ich mir was Neues ausdenken, und ich fand, ein Spaziergang in der kühlen Luft würde mir dabei vielleicht helfen. Gerade als ich aus der Wohnung gehen wollte, läutete jedoch schon wieder das Telefon. Ich war versucht, nicht ranzugehen, entschied mich dann anders und nahm in der Hoffnung, es sei Grace, beim vierten Klingeln ab. Es war aber Trause, so ziemlich der letzte Mensch auf der Welt, mit dem ich jetzt sprechen wollte. Ich hatte ihm noch nicht erzählt, dass ich sein Manuskript verloren hatte, und als ich mich darauf vorbereitete, mit dem seit zwei Tagen hinausgeschobenenGeständnis rauszurücken, war ich so mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass ich ihm kaum folgen konnte. Eleanor und ihr Mann haben Jacob gefunden, sagte er. Sie hätten ihn bereits in eine Entzugsklinik gebracht – Smithers in der Upper East Side.
«Hast du gehört?», fragte John. «Sie haben ihn für ein Achtundzwanzig-Tage-Programm angemeldet. Das wird wahrscheinlich nicht reichen, aber immerhin ist es ein Anfang.»
«Oh», sagte ich mit schwacher Stimme. «Wann haben sie ihn denn gefunden?»
«Mittwochabend, nicht lange nachdem du gegangen bist. Sie mussten ein bisschen schummeln, um ihn da reinzukriegen. Aber zum Glück kennt Don einen, der einen kennt, und am Ende haben sie es geschafft, die Bürokratie zu überlisten.»
«Don?»
«Eleanors Mann.»
«Ja, natürlich. Eleanors Mann.»
«Geht’s dir nicht gut, Sid? Du hörst dich total daneben an.»
«Nein, nein, alles in Ordnung. Don. Eleanors neuer Mann.»
«Ich rufe an, weil ich dich um einen Gefallen bitten will. Ich hoffe, das ist dir recht.»
«Sicher, immer. Schieß los, ich bin dabei.»
«Morgen ist Samstag, da haben sie in der Klinik Besuchszeit von Mittag bis fünf. Ich dachte, vielleicht könntest du für mich mal hingehen und ihn dir ansehen. Du brauchst nicht lange zu bleiben. Eleanor und Don schaffen das nicht. Die sind schon wieder in Long Island, und sie haben sowieso schon genug getan. Ich möchte nur wissen,ob es ihm gut geht. Die Türen sind dort nicht abgeschlossen. Das ist ein freiwilliges Programm, und ich will sicher sein, dass er es sich nicht anders überlegt hat. Nach allem, was wir durchgemacht haben, wäre es ein Jammer, wenn er da weglaufen würde.»
«Meinst du nicht, du solltest selber hinfahren? Immerhin bist du sein Vater. Ich kenne den Jungen doch kaum.»
«Er redet nicht mehr mit mir. Und wenn er mal vergisst, dass er nicht mehr mit mir redet, tischt er mir bloß Lügen auf. Wenn ich wüsste, das bringt was, würde ich auf meiner Krücke hinhumpeln und ihn besuchen. Aber es bringt nichts.»
«Und wie kommst du darauf, dass er mit mir reden wird?»
«Er mag dich. Frag mich nicht warum, aber er findet dich cool. Das ist ein wörtliches Zitat. ‹Sid ist cool.› Vielleicht weil du so jung aussiehst. Was weiß ich. Vielleicht weil du mal mit ihm über eine Rockband gesprochen hast, für die er sich interessiert.»
«The Bean Spasms, eine Punkband aus Chicago. Ein alter Freund hat mir mal ein paar Songs von denen vorgespielt. Nicht besonders gut. Ich glaub, die gibt’s inzwischen nicht mehr.»
«Immerhin hast du gewusst, wer das ist.»
«Stimmt, aber das war auch schon die längste Unterhaltung, die ich je mit Jacob hatte. Ungefähr vier Minuten.»
«Na, vier Minuten ist nicht schlecht. Wenn du morgen vier Minuten aus ihm rausschlagen könntest, wäre das eine großartige Leistung.»
«Meinst du nicht, es wäre besser, wenn ich Grace mitnehmen würde? Sie kennt ihn viel länger als ich.»
«Ausgeschlossen.»
«Wie
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