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Nacht des Orakels

Nacht des Orakels

Titel: Nacht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Frage gestellt, warum sie zu diesen Treffen nie mitgekommen war. Das erste Mal sahen wir uns an einem Freitagabend im Shea Stadium ein Spiel der Mets gegen die Cincinnati Reds an. Trause hatte von einem Bekannten, der ein Saison-Abo besaß, Tickets bekommen, und da er wusste, dass ich Baseballfan war, hatte er mich eingeladen. Das war im Mai 1979, nur wenige Monate nachdem ich mich in Grace verliebt hatte, und John und ich hatten uns auch erst ein paar Wochen zuvor kennen gelernt. Jacob war kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag, und er und einer seiner Klassenkameraden vervollständigten das Quartett. Wir waren kaum im Stadium, als sich herausstellte, dass die beiden Jungen sich überhaupt nichts aus Baseball machten. Während der ersten drei Innings hockten sie mürrisch und gelangweilt auf ihren Plätzen, dann standen sie auf und gingen, um sich Hotdogs zu kaufen und «ein bisschen rumzulaufen», wie Jacob behauptete. Erst in der zweiten Hälfte des siebten kamen sie wieder – kichernd, mit glasigen Augen und sehr viel besserer Laune als vorher. Es war nicht schwer zu erraten, was sie getan hatten. Ich war damals noch Lehrer, und ich hatte genug bekiffte Jugendliche gesehen, um die Symptome zu erkennen. John konzentrierte sich auf das Spiel und schien nichts zu merken, und ich hielt es nicht für nötig, ihn darauf hinzuweisen. Ich kannte ihn damals ja noch kaum und fand, es gehe mich nichts an, was sich zwischen ihm und seinem Sohn abspielte. Von Hallo und Auf Wiedersehen einmal abgesehen, haben Jacob und ich an diesem ganzen Abend nicht mehr als acht oder zehn Worte gewechselt.
    Unsere nächste Begegnung fand etwa sechs Monate später statt. Er war mitten im letzten Schuljahr der Highschool und drauf und dran, in allen Fächern durchzufallen, und John hatte mich kurzfristig auf einen Abend im Billardsalon eingeladen. Er und Jacob sprachen inzwischen kaum noch miteinander, und vermutlich wollte er mich als eine Art Puffer dabeihaben, als neutralen Dritten, der verhinderte, dass es zwischen den beiden in der Öffentlichkeit zu einer lautstarken Auseinandersetzung kam. Das war der Abend, an dem Jacob und ich über die Bean Spasms sprachen und ich mir den Ruf erwarb, cool zu sein. Er schien mir ein außerordentlich kluger und feindseliger Junge zu sein, der die feste Absicht hatte, sein Leben auf jede nur mögliche Weise zu verpfuschen. Ein Hoffnungsschimmer war allenfalls seine Entschlossenheit, seinen Vater beim Billard zu schlagen. Ich war ein miserabler Spieler und geriet bei jeder Partie schnell ins Hintertreffen, aber John beherrschte das Spiel und hatte es offensichtlich auch seinem Sohn beigebracht. Es weckte den Kampfgeist in ihnen beiden, und allein die Tatsache, dass Jacob sich auf etwas konzentrierte, erschien mir als ermutigendes Zeichen. Damals wusste ich noch nicht, dass John bei der Armee ein ausgebuffter Billardvirtuose geworden war. Wenn er gewollt hätte, hätte er Jacob vom Tisch gefegt, aber darauf verzichtete er. Er gab sich als Anfänger und ließ den Jungen gewinnen. Unter den damaligen Umständen war das wahrscheinlich richtig. Nicht dass es den beiden auf lange Sicht geholfen hätte, aber immerhin lächelte Jacob einmal, als sie fertig waren und er seinem Vater die Hand schüttelte. Soweit ich weiß, war es wohl das letzte Mal, dass das geschah.

 
    Grace musste am nächsten Morgen nicht zur Arbeit, und sie schlief noch, als ich die Wohnung verließ. Nach dem Gespräch mit Trause am Freitag hatte ich beschlossen, ihr nicht zu erzählen, dass ich ihm versprochen hatte, am Nachmittag zur Smithers-Klinik zu fahren. Das hätte mich gezwungen, von Jacob zu erzählen, und ich wollte nicht riskieren, schlimme Erinnerungen in ihr wachzurufen. Wir hatten eine Reihe schwieriger Tage hinter uns, und ich gedachte nicht, über irgendetwas zu sprechen, das auch nur die kleinste Erschütterung bewirken konnte – und damit womöglich das fragile Gleichgewicht zu zerstören, zu dem wir in den vergangenen achtundvierzigStunden zurückgefunden hatten. Ich legte ihr einen Zettel auf den Küchentisch: ich sei nach Manhattan gefahren, um in ein paar Buchhandlungen herumzustöbern, und käme spätestens um sechs nach Hause. Noch eine Lüge zu all den anderen kleinen Lügen, die wir uns in der letzten Woche erzählt hatten. Aber meine Absicht war nicht, sie zu täuschen. Ich wollte ihr lediglich weitere Unerfreulichkeiten ersparen, den von uns gemeinsam bewohnten Raum so klein und privat wie möglich halten und

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